Page 93 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
P. 93
4
87
4.2 • Zuständigkeiten der Union
unzulässig. Ob der Grundrechtskatalog der damaligen EWG
inzwischen den Anforderungen des Solange I -Beschlusses ge-
nügte, ließ das BVerfG ausdrücklich offen.
Nach dem bereits gemeinschaftsfreundlicheren Mittler- Solange II
weile-Beschluss, BVerfG, NJW 1983, 1258 folgte 1986 So-
lange II, BVerfGE 73, S. 339. Das Gericht lehnte sich an seinen
früheren Leitsatz an, sah aber nun die Situation des gemein-
schaftsrechtlichen Grundrechtsschutzes als adäquat an und
formulierte:
„Solange die … Gemeinschaften … einen … Schutz der
Grundrechte gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaf-
ten … gewährleisten, der dem … [unabdingbaren Wesensge-
haltsschutz der Grundrechte des GG] im Wesentlichen gleichzu-
achten ist, … wird das …[BVerfG] seine Gerichtsbarkeit über die
Anwendbarkeit … [des Sekundärrechts], das als Rechtsgrund-
lage für ein Verhalten deutscher Gerichte oder Behörden im
Hoheitsbereich der Bundesrepublik … in Anspruch genommen
wird, nicht mehr ausüben und … nicht mehr am Maßstab der
Grundrechte überprüfen; … “
Dieser Beschluss gibt bereits ein Kooperationsverhältnis Maastricht-Urteil
zwischen BVerfG und EuGH und einen nicht eingeschränk-
ten Vorrang vor, wie es dann im Maastricht-Urteil des BVerfG
(BVerfGE 89, 155) ausdrücklich bestätigt wurde. Dort schlägt
das Gericht erstmals deutliche Pflöcke ein, die die Staatlich-
keit Deutschlands garantieren sollen. Mithin lassen die For-
mulierungen des BVerfG wieder auf eine zurückhaltendere
Ansehung des Vorrangs gegenüber den GG-Grundrechten
schließen, da sich das BVerfG ausdrücklich vorbehält, Ver-
fassungsbeschwerden gegen EU-Recht anzunehmen, soweit
ein gemeinschaftsrechtlicher Schutz der Grundrechte dem des
Grundgesetzes nicht mehr adäquat entspreche.
Das BVerfG geht aber im Maastricht-Urteil noch darü- Ultra-vires-Kontrolle
ber hinaus und statuiert neben dem Grundrechtsschutz die
Möglichkeit einer Kompetenzüberprüfung von EU-Sekun-
därrechtsakten (sog. ultra vires-Kontrolle, BVerfGE 89, 155,
188/210). Danach besteht der Vorrang des Unionsrechts nicht,
wenn es sich um einen ausbrechenden EU-Rechtsakt handelt,
welcher nicht vom Kompetenzgefüge des Unionsrechts gedeckt
ist. Begründet wird die Überprüfungskompetenz des BVerfG
damit, dass sich der Vorrang des Unionschaftrechts nur aus
dem Anwendungsbefehl ergebe, wie er vom deutschen Zustim-
mungsgesetz zu den Verträgen gegeben wurde. Nur mit diesem
Befehl sei das Unionsrecht in der Bundesrepublik für geltend
und anwendbar erklärt worden, so dass das BVerfG in Fäl-
len, in denen zweifelhaft ist, ob in einem Bereich der Vorrang
besteht, ob der Rechtsakt vom Rechtsanwendungsbefehl ge-
deckt ist. Eine mögliche Begrenzung des Anwendungsbefehls