Page 88 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
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82 Kapitel 4 • Die Europäische Union
lass von Rechtsakten zuständig sind. Kritisiert wird vor al-
lem, dass die Voraussetzungen sehr weit und ungenau gefasst
sind und somit nicht justiziabel, d. h. gerichtlich überprüfbar,
2 seien. Der EuGH hat den Subsidiaritätsgrundsatz bislang nur
sehr selten zur Beurteilung der Gültigkeit eines Sekundär-
rechtsaktes herangezogen (z. B. Niederlande/EP und Rat, Slg.
2001, I- 7079). Der Grundsatz der Subsidiarität soll durch
die im Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der
4 Subsidiarität und des Verhältnismäßigkeit genannten Mög-
lichkeiten der Subsidiaritätsrüge und der Subsidiaritätsklage
gestärkt werden.
Gemäß Art. 6, 7 Protokoll werden die nationalen Parla-
mente ermächtigt, begründete Stellungnahmen im Rechtsset-
zungsverfahren der EU abzugeben und darzulegen, warum
ein Gesetzentwurf nicht mit dem Subsidiaritätsgrundsatz
vereinbar ist. Eine Überprüfungspflicht entsteht, wenn min-
destens neun nationale Parlamente Einwendungen erheben
(sog. gelbe Karte). Die nationalen Parlamente können den
Rechtsakt letztendlich aber nicht verhindern. Überdies können
55 Prozent der Mitglieder des Ministerrats oder eine einfache
Mehrheit des Europaparlaments die Kommission zwingen,
einen das Subsidiaritätsprinzip verletzenden Rechtsvorschlag
zurückzuziehen (sog. orangene Karte). Die Subsidiaritätsklage
nach Art. 263 AEUV kann von einem MS im eigenen oder
2 im Namen seines nationalen Parlaments erhoben werden. In
Deutschland ist das innerstaatliche Vorgehen im IntVG (Ge-
setz über die Wahrnehmung der Integrationsverantwortung
2 des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der
Europäischen Union – Integrationsverantwortungsgesetz) ge-
2 regelt.
Immer zu prüfen: Verhältnis- Eine weitere Schranke zur Ausübung der Kompetenz stellt
2 mäßigkeit einer Maßnahme. der in Art. 5 IV EUV kodifizierte und bereits erwähnte Ver-
hältnismäßigkeitsgrundsatz dar. Ein Sekundärrechtsakt ist
nur rechtmäßig, wenn er zur Zielerreichung geeignet ist, das
2 mildeste Mittel dazu darstellt und angemessen im Sinne einer
Zweck-Mittel-Relation ist. Die Voraussetzungen sind identisch
2 mit denen des aus dem deutschen Verfassungsrecht bereits be-
kannten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.
Aufgrund ihrer systematischen Stellung im Teil „Grund-
2 sätze“ gelten das Subsidiaritäts- und das Verhältnismäßigkeits-
prinzip für jegliches Tätigwerden der Gemeinschaft. Sie sind
2 folglich immer zu beachten.
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