Page 87 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
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4.2 • Zuständigkeiten der Union
- Ein Tätigwerden der Union im Rahmen der in den Ver-
Die Tatbestandsmerkmale des Art. 352 AEUV sind:
- um eines der Ziele der Verträge zu verwirklichen,
trägen festgelegten Politikbereiche erscheint erforderlich,
-
und in den Verträgen sind dafür die Befugnisse nicht
vorgesehen (Tatbestand).
Dann kann der Rat einstimmig auf Vorschlag der Kommis-
sion und nach Zustimmung des Parlaments die geeigneten
Vorschriften erlassen (Rechtsfolge). Einschränkungen und
Qualifizierungen ergeben sich aus den Absätzen 2 bis 4. Die
Vorschrift ist nur subsidiär anwendbar und die Tatbestands-
merkmale dürfen nicht weit ausgelegt werden, um ein Über-
greifen der EU in den Hoheitsbereich der Mitgliedstaaten zu
verhindern (s. BVerfGE 123, 267, 394 f.).
Die Ziele der EU sind in Art. 2 EUV niedergelegt, der be-
reits kurz erläutert wurde. Art. 352 AEUV greift aber nur ein,
wenn das Mittel, welches die EU wählt, um Unionsziele zu
verwirklichen, in einem angemessenen Verhältnis zu diesem
Ziel steht („erforderlich“). Mithin ist eine Abwägung anhand
des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes notwendig. Das Mittel
darf beispielsweise nicht einschneidend die Kompetenzen der
Mitgliedstaaten verletzen, wenn das Unionsziel von unterge-
ordneter Bedeutung ist. Die Grenze der Ergänzungskompe-
tenz ist neben Art. 352 III, IV AEUV Art. 48 EUV. Wichtig bei
Art. 352 AEUV ist ferner, dass eine Regelung Einstimmigkeit
im Ministerrat erfordert.
Zu beachten bei der Kompetenzausübung sind der Sub- Subsidiaritäts- und Verhältnis-
sidiaritäts- und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, Art. 5 I mäßigkeitsgrundsatz
2 EUV. Die Subsidiarität des unionsrechtlichen Tätigwerdens Die Subsidiarität ist nur
ist in Art. 5 III EU und dem Protokoll Nr. 2 über die Anwen- bei nicht ausschließlichen
dung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnis- Kompetenzbereichen zu
mäßigkeit niedergelegt. Der Wortlautunterschied Grundsatz prüfen.
– Prinzip, Vertragstext und das Protokoll sprechen, ohne dass
eine Systematik erkennbar ist, von Subsidiaritätsgrundsatz
oder –prinzip, ist unbeachtlich, da die Verträge erkennbar
von einer Austauschbarkeit der Begriffe ausgehen, so dass im
Folgenden nur der Begriff des Grundsatzes verwendet wird.
Dies dürfte unter Beachtung der autonomen, von den Mit-
gliedstaaten unabhängigen Begrifflichkeit des Unionsrechts
die vorzuziehende Sichtweise sein.
Der Subsidiaritätsgrundsatz gilt für alle nicht ausschließ- Verhältnismäßigkeit ist zu
lichen Zuständigkeiten der EU, vgl. Art. 3 AEUV. Subsidia- beachten.
rität besagt, dass dann, wenn die Ziele der in Betracht ge-
zogenen Maßnahmen auf mitgliedstaatlicher Ebene besser
erreicht werden können, diese und nicht die EU für den Er-