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1995 Der Verrat

            Im Frühjahr rief mich Werner an. Er hatte die Tanzkapelle aufgelöst und fragte mich, ob er wieder
            bei mir mitspielen könne. Ich war hocherfreut und setzte ihn hauptsächlich in der Zweitband mit Ivo
            ein. Sie spielten zusammen mit einer der Sängerinnen in einer Dreier Besetzung.

            In der Firma ist dann etwas passiert, was mir neben dem linken Ole einen zweiten Todfeind
            bescherte. Es herrschte keine gute Stimmung zwischen den Mitarbeitern, weil sich immer mehr
            Neid und Missgunst breit machte. Wir hatten einmal pro Woche ein Meeting, bei dem jeder sagen
            konnte, was ihm auf dem Herzen lag. Herr Riemer war immer sehr bemüht, es jedem recht zu
            machen. Das führte dazu, dass die größten Dummköpfe unserer Belegschaft ewige Monologe über
            nichts hielten oder völligen Blödsinn von sich gaben. Besonders Ewald und Lisa taten sich da
            hervor. Das ging El, Uwe, Simon und mir gehörig auf die Nerven.

            Anita war mittlerweile im Betriebsrat und saß eines Nachmittags mit Simon und mir in der
            Teeküche. Sie sagte, ihr wäre aufgefallen, dass uns einiges bedrücke. Wir könnten gerne mit ihr als
            Betriebsrätin darüber reden, denn sie hätte Schweigepflicht. Da ist es aus Simon und mir
            herausgebrochen. Wir redeten uns den ganzen Frust von der Seele und machten in erster Linie
            Herrn Riemer für die schlechte Stimmung verantwortlich.


            Am nächsten Tag wurden wir zu ihm ins Büro beordert und bekamen es richtig dicke. Anita, die
            falsche Schlange, wollte ihr Standing bei Herrn Riemer und Hera weiter ausbauen und hatte ihnen
            alles erzählt. Wenn man bedenkt, dass ich es war, der ihr diesen Traumjob besorgt hatte, ist dieser
            Verrat doppelt schlimm.

            El, Uwe, Simon und ich saßen mal wieder zusammen in einem unserer Studios und lasen Anzeigen
            im Heißen Draht. Ich hatte richtige Schwierigkeiten, die Schrift zu lesen und sagte so nebenbei:
            „Die sparen jetzt auch schon an der Tinte, denn sie haben die Schrift verkleinert“. El nahm mir das
            Blatt ab, schaute sich die Schrift an und meinte: „Da hat sich nichts verändert.“ Da habe ich zum
            ersten Mal gemerkt, dass meine Augen schlechter wurden und ich eine Brille brauchte.


            Angelika lag in der Badewanne und ich ging durch den Flur, als plötzlich etwas bei mir im Kopf
            passierte. Es war Abend und Christian, Andi und Philip waren schon im Bett. Hanna übernachtete
            bei einer Freundin, was sie öfter tat. Aber an diesem Abend hatte ich ein ganz komisches Gefühl.
            Ich erzählte es Angelika und sie wurde auch ganz unruhig. Dann rief ich bei Margots Eltern an, wo
            Hanna übernachten wollte und verlangte sie zu sprechen. Margots Mutter war ganz erstaunt und
            sagte mir, dass die beiden Mädchen auf einer Party in Hannover seien, ich hätte das doch erlaubt.


            Jetzt packte mich die Panik, denn ich stellte mir die schlimmsten Situationen vor. Da waren doch
            bestimmt Jungs, die mein Mädchen betrunken machen würden und dann konnte alles passieren. Ich
            stürzte aus dem Haus, fuhr nach Hannover und fand die Adresse, die ich von Margots Mutter
            bekommen hatte. Vor der Tür stand ein etwa 20jähriger vierschrötiger Typ, der mich nicht rein
            lassen wollte. Aber einen besorgten Vater aufhalten zu wollen, ist keine gute Idee. Ich packte ihn am
            Kragen, knallte ihn gegen die Wand und ging rein. Margot hat mich zuerst gesehen. Sie wurde
            aschfahl und hat Hanna angestupst. Die drehte sich rum und ihr fielen fast die Augen aus dem Kopf.
            Ich schrie: „Sofort mitkommen!“ und ging raus. Mit betröppelten Gesichtern folgten mir die beiden.

            Ich bekam mal wieder einen Videoauftrag. Mike und Alban, zwei Glam Rock Musiker hatten fünf
            Songs geschrieben und in einem Studio aufgenommen. Sie mieteten das Capitol und dort drehten
            wir zu jedem Song ein Video. Wenn ich Spätschicht hatte, kamen sie zu uns nach Hause und wir
            haben den Schnitt gemacht. Das hat mehrere Tage gedauert. Immer wenn wir fertig waren, hab ich
            Hanna und Andi zu Angelika in den Kindergarten und Mike und Alban zur Straßenbahn gebracht.
            Beim letzten Mal, als wir alles fertig hatten, war Andi beim Wegbringen nicht dabei. Da hat Alban,
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