Page 262 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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250 Raoul Richter.
nach den Erscheinungen gehandelt werden i). Aenesidem übernahm
innerhalb des Rahmens dieser pyrrhonischen Grnindanschauungen die
Ausführung und Begründung einzelner Theile des skeptischen Welt-
bildes. In den zehn Tropen 2) legte er des Näheren die Unmöglich-
keit dar, vermittelst der Sinne die Beschaffenheit der Dinge zu er-
kennen; aus dem Gebiet der Yernunfterkenntniss unterwarf er vor
allem den Causalitätsbegriff^) einer kritischen Analyse. Die enge
Fühlung, in welche dann die pyrrhonische Skepsis mit den empirischen
und methodischen Aerzteschulen trat, gab Anlass zu jener positiven
Krönung, jener Theorie der xi-/yy] als Beobachtung, Beschreibung
und praktische Yerwerthung der Erfahrungsthatsachen in iliren ge-
wohnheitsmäßigen Verbindungen, welche sich über dem negativ-
kritischen Untergrund erhebt und in mehr als einem Zuge an den
modernen Positivismus gemahnt. Auf welche Mitglieder der Schule
diese positive Wendung zurückzuführen ist, ob auf Menodot oder
andere, lässt sich nicht ausmachen *), und eben so wenig, von wem
die Erfindung der logischen Tropen in der Agrippa'schen Formu-
lirung, von wem die zahllosen dialectischen Argumentationen, für den
Kampf mit feindlichen Richtungen, vor allem der Stoa, geschliffen,
von wem endlich die Aufnahme mancher Elemente aus der akade-
mischen Skepsis (wie die Zersetzung der Religionsphilosophie) im
Einzelnen herrühren.
1) Beides liegt in dem Pyrrho zugeschriebenen: dxoXouöeiv xoT« «pat>;o[i.£voic
(Diog. IK, 106). Dass sich thatsächlich das Handeln und Urtheilen nach den
Erscheinungen richten sollte, beweist der von Diog. a. a. 0. angezogene Vers
des Timon: dXXa t6 cpaivöfAevov iiavTi o&evet ourep av sXÖTf). Ihn interpretirt Diog.
als auf's Urtheilen gehend; denn er belegt mit ihm, dass Pyrrho (den ich mit
Zeller hier als Subject fasse) [ay] ^xßeßrjxevai t^v ouvTj&eiav, wobei unter ouvT]&£ia
nach dem Zusammenhang nur das Gregentheil von paradoxen Urtheilen verstanden
werden kann. Sextus {Math. VII, 30) erklärt den gleichen Vers ausdrücklich
dahin, dass die Erscheinung das Kriterium des praktischen Handelns sei. Beide
treffen gewiss das Richtige. Vgl. auch Diog. IX, 62: Alveai57)[xo; li cp-rjot cpiXo-
oocpeTv (jiev aixöv (sc. tov üu^^joava) xaxd töv tyjs ir.oyjqi Xoyov, [jl-^ {xevtoi ^e (XTipoopd-
Ttt)5 exaota Trpdtxeiv.
2) Dass Aenesidem die 10 Tropen wenn nicht erfunden, so doch zuerst
systematisch formulirt hat, darüber sind die neueren Forscher fast alle einig.
3) Math. IX, 218 ff.
4) Natorp glaubt schon bei Aenesidem eine positivistische Erfahrungslehre
annehmen zu dürfen (Zur Greschichte des Erkenntnissproblems im Alterthum.
Berlin 1884 S. 127 ff.), Brochard (a. a. 0. S. 269) hält sie erst bei Sextus für
nachweisbar, aber von Menodot herrührend.