Page 432 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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420 ^- Vierkandt.
Begriff der Gewohnheit verstehen wir dabei nicht nur im praktischen,
sondern auch im theoretischen Sinne. Neben Gewohnheiten des Be-
nehmens und Handelns sprechen wir auch von Denk- und Vorstellungs-
gewohnheiten. Wo z. B. ein Aberglaube, wie derjenige über die ver-
hängnissvolle Macht der Zahl Dreizehn in einem sonst gebildeten
und intelligenten Kopf seine Herrschaft behauptet, da kann man die
Zähigkeit, mit der er jedem Versuch der Entfernung trotzt, nur mit
derjenigen Hartnäckigkeit vergleichen, mit der eine praktische Ge-
wohnheit der täghchen Lebensordnung sich gegen alle Versuche der
Abänderung wehrt. Für die Erhaltung der Culturformen ist die
Thatsache der theoretischen Gewohnheit wohl noch viel wichtiger als
diejenige der praktischen. Die letztere spielt sicherlich für die
Erhaltung der festen Formen z. B. innerhalb der Erwerbs- und Berufs-
arten eine große Rolle, wie man besonders an älteren Personen be-
obachten kann, denen ihre bestimmte Art ihren Beruf anzufassen so
sehr in Fleisch und Blut übergegangen ist, dass sie sich weder in
eine Abänderung noch in eine Aufgabe desselben zu finden vermögen.
Die Macht der theoretischen Gewohnheit kommt sowohl für das
Gebiet der theoretischen wie für das der praktischen Culturgüter in
Betracht. Für das erster e handelt es sich um die allgemeinen An-
schauungen einer Zeit und eines Volkes, um ihre religiösen, poHtischen,
rechtlichen, philosophischen Ideen u. s. w., um die Voraussetzungen,
allgemeinen Lehren und Methoden der Wissenschaften u. ä. Beson-
ders für das letztgenannte Gebiet ist es überall da, wo es sich um
allgemeine Principien und Anschauungen handelt, die ebenso einer
rationellen Begründung entbehren wie einer rationellen Kritik und
Polemik unzugänglich sind, durchaus angebracht von Denkgewohn-
heiten zu reden, um damit den mechanischen, alogischen, gleichsam
versteinerten Charakter dieser Vorstellungen zu bezeichnen.
Für die Natur der hier in -Betracht kommenden politischen,
reUgiösen und verwandten Anschauungen gilt dieser Mangel an
logischem Fundament und an logischer Anpassungsfähigkeit natürHch
in erhöhtem Maße. Wie sehr das menschliche Denken gewohnt ist,
sich über diese Grundlage seiner Ueberzeugungen hinwegzutäuschen
und ihre logische Wahrheit zu überschätzen , bezeugt die bekannte
Argumentation Kant 's in seiner Erkenntnisslehre, wonach alle die-
jenigen Wahrheiten, deren Gegentheil man sich angeblich gar nicht