Page 433 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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Die Gründe für die Erhaltung der Cultur.
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     vorstellen kann, allgemeingültig und nothwendig sind und demgemäß
     einen überempirischen Ursprung besitzen müssen. Man hat mit Kecht
     dagegen eingewandt,  dass schon  die bloße Ausnahmslosigkeit der-
     artiger Sätze, das heißt der Mangel abweichender Erlebnisse genügt,
     um  sie subjectiv als nothwendig erscheinen zu lassen, während  sie
     objectiv nichts weiter  als durch keine Ausnahme erschütterte Denk-
     gewohnheiten zu sein brauchen.
        Auf dem Gebiet der praktischen Culturgüter äußert sich die-
     selbe Eigenthümlichkeit des menschlichen Geistes darin,  dass man
     sich alle Formen der menschlichen Lebensprocesse, welche ausnahms-
     los gültig sind,  gar nicht  als durch irgend welche andere ersetzbar
     vorstellen kann, sie vielmehr als absolut nothwendig sich denken muss.
     Der naive Mensch kann sich kaum vorstellen, dass ein anderer anders
     handeln oder sich benehmen kann,  als er selber es gewohnt ist und
     es um  sich  sieht.  Auf der  tiefsten Stufe kann  er es  z. B. kaum
     begreifen, dass in einem andern Lande eine andre Sprache gesprochen
     wird  als die seinige, und selbst  in den höheren Kj-eisen stehen die
     meisten der Opposition gegen gewisse Unsitten der Gegenwart, wie
     etwa das Trinkgeldgeben, deswegen so indolent gegenüber,  weil sie
     ebenfalls nicht über die Abstractionskraft verfügen, um diese zufällige
     Form als durch eine andere ersetzt oder einfach beseitigt sich vor-
     stellen zu können.  Zum großen Theil  eine Folge  dieser Kraft der
     Denkgewohnheit  ist das Misstrauen, mit dem   die Menschen — je
     tiefer sie stehen, desto mehr; bei uns wohl am stärksten der Bauern-
     stand — auftauchenden Neuerungen so oft zunächst begegnen.  That-
     sächliche Abweichungen von solchen ausnahmslos gültigen Normen
     findet man demgemäß durchweg lächerlich,  auch wenn   sie sachlich
     um nichts  tiefer stehen als dasjenige, an dessen Stelle  sie  treten.
     Aus  diesem Grunde   belächeln  wir  z. B.  die Analogiebildung  der
     Kindersprache, obwohl  sie an  sich  oft sehr zweckmäßig und sinn-
     voll  ist.
        Diese Wirksamkeit der Gewohnheit kommt     freilich für die Er-
     haltung der Culturgüter mehr indirect  als direct in Betracht, weil
     sie sich nicht nur bei demjenigen äußert, der ihnen handelnd gegen-
     übertritt, sondern und zwar mindestens der Kopfzahl nach in stärkerem
     Betrage auch bei denjenigen, die ihnen betrachtend gegenüberstehen.
     Die letzteren wii-ken nämlich offenbar auf den ersteren zurück, indem
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