Page 434 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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      sie namentlich vermöge der Beeinflussung seines Selbstgefühles ihn
      in den vorhandenen Bahnen    festhalten —  ein Zusammenhang, auf
      den wir später noch näher eingehen werden  (s. Nr. 11).

         6) Grefühlswirkungen.     Die hier gemeinte Wirksamkeit beruht
      auf einer Verschiebung von Gefühlstönen, vermöge deren (^ese von
      dem Inhalt bestimmter Erlebnisse und Vorgänge auf deren sie ein-
      rahmende Formen übergehen und diesen dadurch einen Gemüthswerth
      verleihen.  Sowohl der ganze Ablauf des menschlichen Lebens wie
      insbesondre  seine  einzelnen ungewöhnlichen großen Ereignisse  sind
      Ja überall von festen Formen eingerahmt; zunächst von den Formen
      der jeweilig in Betracht kommenden Sitten und allgemeiner, gleichsam
      mehr im Hintergrund, von den festen Formen des Rechtes, der Ge-
      sellschaft, des Staates, der Technik, Wirthschaft, Kunst u, s. w. Im
      Bewusstsein verschmilzt nun  das  individuelle Leben sammt seinen
      einzelnen besonderen Ereignissen mit diesem Rahmen und Hintergrund.
      Demgemäß    übertragen  sich  die Gefühle,  welche den persönlichen
      Lebensablauf begleiten, insbesondere die Erregungen, mit denen seine
      großen Ereignisse verknüpft sind, wie eben schon angedeutet, auf die
      sie begleitenden  festen Formen.  Zunächst hat  das  allgemein zur
      Folge,  dass diese  als etwas ebenso Wichtiges vom naiven Denken
      erfasst und geschätzt werden wie der Inhalt des Lebens selbst. Wo
      insbesondere  dieser Inhalt  ein  erfreulicher  ist, da wird dann auch
      der AfEect der Freude auf jenen Rahmen sich übertragen und seine
      Schätzung erhöhen.   Einerseits gewinnen so  die festen Formen der
      einzelnen markanten Lebensereignisse sowie manche anderen materiellen
      Begleiterscheinungen einen großen Gefühlswerth : das naive Denken
      kann keine Verlobung ohne Ringe, keine Ehe ohne Hochzeit, kein
      Examen ohne Frack, kein Regiment ohne Fahne sich vorstellen u. s. w.
      Daraus zum großen Theil erklärt es sich, wie sehr das menschliche
       Gemüth an den Symbolen der Dinge haftet,   oft eben so sehr oder
      mehr   als an  diesen  selbst.  Welche Bedeutung hat  z. B.  für das
      Leben der Kirche der Altar, für die Ausübung der Herrschergewalt
       die Krone!  Wie sehr fühlt sich in der Sphäre der Berufsthätigkeit
       der Einzelne  oft mit deren Räumlichkeit, etwa mit seinem Labora-
      torium, mit der Anstalt,  der Fabrik  u.  dgl. verwachsen!  Welche
       Gefühlswirkung vermögen  allgemein  alle Arten von Paladien und
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