Page 436 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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       Erinnerung an die eigene glückliclie Jugend thut, die ebenfalls in ihrem
       intellectuellen und emotionalen Theile mit derjenigen an den beglei-
       tenden Rahmen zu verschmelzen pflegt.  Hierauf beruht zum großen
       Theil  die bekannte Thatsache, dass das Alte an  sich, unabhängig
       von seinem eigentlichen Werth,  geschätzt wird, oder dass ihm viel-
       mehr ein solcher vom Affecte beigelegt wird auch da, wo die kritische
       Prüfung keinen hinreichenden Anlass dazu  findet.  Wie sehr  z. B.
       die Liebe zur angestammten Sprache und Volksart hierin wurzelt,
       bringen  die bekannten Wendungen von    der  »Muttersprache«  oder
       der »Väter heiligem Brauche«  deutlich zum Ausdruck.   Die Wirk-
       samkeit dieses Factors hat vielfach auch eine nachträgliche Anpassung
       der Vorstellungs- und Urtheilskraft an die gegebenen Thatsachen zur
       Folge, indem  sie, dem bekannten Dichterworte entsprechend: Sei im
       Besitze und du bist im Recht, das Wirkliche als vernünftig erscheinen
       lässt — eine Thatsache, auf die wir später noch zurückkommen werden.
          Da der Grrund für die eben betrachtete Erscheinung in Wirkungen
       des Grefühles liegt,  so muss  sie sich am deutlichsten da zeigen, wo
       diese Wirkungen sowohl  in positiver  wie  in negativer Hinsicht zu
       Tage treten, das heißt da, wo einerseits die betreffenden Institutionen
       die stärksten Glefühle hervorrufen, und wo anderseits widerstrebende
       Interessen ihnen am wenigsten entgegentreten.  Aus beiden Gründen
       macht sich jener conservative Hang am wenigsten bei den Erschei-
       nungen des praktischen Lebens geltend, bei denen vielmehr rationelle
       Rücksichten der Nützlichkeit eine verhältnissmäßig große Rolle spielen.
       Viel stärker äußert er sich schon im Bereich der Sitten.  So manche
       widersinnig oder gar unsittHch gewordnen Sitten, wie etwa diejenige
       des Fracktragens bei feierlichen Gelegenheiten, des Leichenschmauses,
       des Duells,  der JagdfestHchkeiten würden ohne dieses Haften am
       Alten wohl schon mehr zurückgedrängt   oder wie   der Brauch des
       Leichenschmauses  früher verschwunden  sein.  Am   stärksten  aber
       macht sich  die uns hier beschäftigende Erscheinung da bemerklich,
       wo  sie von dem   Affecte  einer  starken Verehrung getragen  wird,
       namentlich im Gebiete der religiösen und staatlichen Erscheinungen.
       Wie hervorragend conservativ und ritual  die Rechtsformen, die Ge-
       schäftsformen und zum Theil auch die Etikette innerhalb der Bureau-
       kratie  sind,  ist  ja  bekannt.  Bei  der  Religion  können  wir  bei
       den primitiven Völkern  für  diesen conservativen Geist noch  einen
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