Page 442 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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       werden.   Erstens wird  die Befriedigung, welche mit den einzelnen
        Genüssen und Gütern des Lebens verbunden    ist, wie der Einzelne
        es bei anderen verlaufen  sieht, von ihm  als Zuschauer in  seinem
       Bewusstsein vorweggenommen und wird so für ihn zu einem Motiv
       sein Leben in dieselben Bahnen zu lenken.    Einen  Sport wie das
       Radfahren  z. B.  lernen  die meisten Menschen  offenbar wegen des
        Genusses,  der nach  den  Schilderungen  der  in ihm  bereits  Ein-
       heimischen mit ihm verknüpft  ist. Ein zweiter Grund liegt in gewissen
       Wirkungen der Suggestion.   "Wir kommen auf ihn im nächsten Ab-
        schnitt zu sprechen und weisen hier nur auf einzelne Beispiele hin,
       wie auf den Einfluss, den  oft das suggestiv wirkende Vorbild  ein-
       zelner hervorragender Persönlichkeiten auf die Berufswahl, oder auf
        denjenigen,  den  etwa eine herumziehende  Indianertruppe  auf  die
        Spiele der Kinder ausübt.
           "Wir kommen jetzt zu einer Reihe von Erscheinungen,   die man
       unter  den  Begriff  der Unterordnung    subsumiren kann und bei
        denen man auch wohl von der Wirkung eines ITnterordnungstriebes
        sprechen darf,  falls man  die logische Reserve nicht außer Augen
        lässt,  die bei der Anwendung  eines zusammenfassenden Ausdruckes
        für  gewisse complexe Gruppen von Erscheinungen nothwendig    ist.
        Es handelt  sich  hier um  die Thatsache,  dass der Einzelne sich in
        gewisse überindividuelle Ordnungen, welche  theils dem Gebiete des
        Berufslebens, theils dem Gebiet der Sitten insbesondere der Lebens-
        formen angehören, willig und mit einer gewissen Freudigkeit einfügt
        und  sich ihren Tendenzen auch da, wo   sie sich gegen das eigene
        Interesse oder Wohlbefinden richten, nicht widersetzt.  Schon beim
        Spiele der Kinder zeigt sich eine derartige WiUigkeit der Einordnung
        in die Regeln des Spiels in einer mit der sonstigen Unbändigkeit der
        kindUchen Natur in auffallendem Gegensatze stehenden Weise. Auch
        das Benehmen der Kinder gegenüber den Eltern wird mit von diesem
        Triebe, nicht etwa bloß von der Furcht oder der Liebe bestimmt.
        Im Schulleben der Kinder zeigt sich derselbe Trieb in Gestalt des
        Gerechtigkeitssinnes, der eine verdiente Strafe ohne Auflehnung, ohne
        Hass gegen den Lehrer auf sich nimmt, sowie überhaupt in Gestalt
        der bekannten Thatsache, dass die  strengsten Lehrer in der Regel,
        wofern  sie nur gerecht sind,  sich der größten Zuneigung erfreuen.
        Aehnlich ist aus manchen Schilderungen der Gauner- und Verbrecher-
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