Page 444 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
P. 444

432                       -A- Vierkandt.

        Wo das Gefühl der Distanz am stärksten ist, da ergibt sich ein Zustand
       innerer Verehrung,     der sich den Werth der geschätzten Person
        oder des geschätzten Objectes innerlich anzueignen bestrebt ist und
        diesen inneren Zustand in Handlungen und eine Art des Benehmens
       umsetzt, welche dem verehrten Vorbild entsprechen.  "Wo aber das
        Streben, es dem letzteren gleich zu thun, ausschlaggebend  ist, da ent-
        steht das Verlangen, sich durch Einfügung in die einmal bestehende
        Ordnung eine äußere Anerkennung zu verschaffen entweder von
        Seiten der diese Ordnung verkörpernden Person oder von Seiten des
       PubHkums.    Im ersteren Fall wird das Selbstgefühl mehr innerlich,
       im letzteren mehr äußerlich  befriedigt.  Zur Erläuterung  erinnern
        wir nochmals an   das vorhin  erwähnte Benehmen   des Negers der
        europäischen  Cultur  gegenüber.  Einerseits  hat  der Schwarze  ein
        deutliches  Bewusstsein  der  Ueberlegenheit  unserer  Gesittung und
        blickt demgemäß zu  ihr empor;  aber nicht immer mit Verehrung,
        sondern oft auch mit einem aus Furcht und Trotz gemischten Affect.
        So überwiegt bald der erstere, bald der zweite Typus, und besonders
        den übrigen Eingeborenen gegenüber kommt nur     der  letztere zur
        Geltung. — Ein weiterer Grund für die Erscheinungen der Unter-
        ordnung kann in gewissen Einflüssen der Suggestion liegen, auf  die
        wir jetzt zu sprechen kommen.


           9) Die Suggestion.    Ihr Charakteristisches besteht bekanntlich
        in dem Einfluss,  den bestimmte psychische Einwirkungen auf den
        Bewusstseinsverlauf eines Menschen ausüben.  Ganz allgemein kann
        man wohl von einer Neigung auch des isolirt gedachten Menschen
        sprechen, irgendwie in ihm auftauchende Vorstellungen ohne weiteres
        für richtig zu halten und irgendwie  in ihm entstehende Impulse zu
        Bewegungen oder Handlungen    in diese selbst umzusetzen.  Ueberall
        wo durch Einwirkung eines anderen diese Tendenzen über ihr natür-
        liches Maß  verstärkt werden,  sprechen wir von Suggestion.  Den
        Grund für diese  suggestive Einwirkung  erblicken wir mit Wundt
        in einer Verengung des Bewusstseins  i).  Eine solche wird ursprüng-
        lich durch bestimmte Sinnesreize oder durch die Macht der Affecte,
        später daneben auch durch die bloße Macht der Gewohnheit hervor-

           1) Vgl. "Wundt, Vorlesungen über die Menschen- und Thierseele,  2 S. 367.
        Wundt, Hypnotismus und Suggestion,  S. 48 ff.
   439   440   441   442   443   444   445   446   447   448   449