Page 443 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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Die Gründe für die Erhaltung der Cultur. 431
weit bekannt, wie die strengsten und klügsten Polizeibeamten im
allgemeinen durchaus nicht gehasst, sondern eher mit einem aus
Fui'cht, Bewunderung und Neigung gemischten Gefühle betrachtet
werden. Und endlich ist derselbe Charakterzug am Neger von vielen
Beobachtern constatirt worden. Aehnlich wie ein Kind in der
Schule unterwirft er sich einer verdienten Strafe ohne Murren und
ohne einen Hass gegen den sie verhängenden Europäer zu fassen.
Im Bereich der Culturformen im engern Sinn bethätigt sich dieser
selbe Unterordnungstrieb, wie oben schon erwähnt, als die freiwillige
Einfügung in die großen Formen des menschlichen Lebens, theils
diejenigen des Berufes, theüs diejenigen, welche dem Gebiete der
Sitte und Sittlichkeit angehören. Er bildet also einen weitem Factor,
welcher ebenfalls zu gewissen Thatsachen der Nachahmung führt i).
Der Grund für alle diese Erscheinungen der Unterordnung liegt iu
einer Verbindung zweier Bewusstseinszustände. Nämhch einerseits
in einem Gefühle der Bewunderung, der Verehrung, der Furcht, der
Liebe, anderseits in dem Bestreben, es der mit solchem Gefühle
betrachteten Person gleich zu thun, also abstract ausgedrückt einer-
seits in einem Gefühle der Distanz und anderseits in der Tendenz
diese Distanz zu überbrücken. Beide Bewusstseinszustände brauchen
sich dabei nicht auf eine Person, sondern können sich auf ein ob-
jectives Gebilde, eine bestimmte Lebensordnung, eine Berufsordnung,
sittliche Normen, conventionelle Regeln wie beim Spiel und dergleichen
beziehen. Der Bezug auf sie kann dabei durch einzelne autoritative
Personen, welche diese Ordnung repräsentiren, vermittelt werden.
Er kann aber auch ein unmittelbarer sein vermöge der allgemeinen
Fähigkeit des menschlichen Bewusstseins, unpersönlichen Gebilden
ähnliche Gefühle entgegenzubringen wie persönlichen. Je nachdem
der eine oder andre Bestandtheil überwiegt, ergeben sich zwei Typen.
1) Ueber die Erscheinungen des Unterordnungstriebes vgl. G r o o s , Spiele des
Menschen S. 436—448 und Mark Baldwin, Das sociale und sittliche Leben
erläutert durch die seelische Entwicklung S. 8—18. Leider fehlt bei beiden eine
Analyse und Erklärung der Erscheinungen. Eine solche, die sich auch auf die
Thatsache der Nachahmung erstreckt, findet sich dagegen bei B. Gure witsch,
Die Entwicklung der menschlichen Bedürfnisse und die sociale Gliederung der
Gesellschaft (Staats- und socialwissenschaftliche Forschungen, Bd. XIX, Heft 4)
S. 47—49, bei Tarde, Les lois de l'imitation, chap. IV et VI, bei Spencer,
Principien der Sociologie, Bd. HL, § 423; bei Lotze, Mikrokosmos * II, 437.