Page 445 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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Die Gründe für die Erhaltung der Cultur.
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    gerufen. Wir haben es liier nur mit der Einwirkung des Affectes zu
    thun, und zwar desjenigen Affectes, welcher durch den Einfluss in
    irgend einem Sinne hervorragender oder als überlegen empfundener
    Persönlichkeiten  ausgeübt  wird.  Eine  solche Persönhchkeit kann
    entweder ein Einzelner oder eine Gesammtheit sein. Im ersteren
    Falle kann die Persönlichkeit  als überlegen entweder an sich selbst
    oder vermöge   ihrer Stellung und  ihres Verhältnisses zu dem  be-
    einflussten  Individuum  empfunden  werden.  Welche   fascinirende
    Wirkung zunächst große Persönhchkeiten an sich auszuüben ver-
    mögen, wissen wir aus einzelnen historischen Beispielen, wie  z. B. von
    Napoleon  I.  Für uns kommt hier nur der Einfluss in Betracht, den
    sie im Berufsleben zu bethätigen vermögen, indem ihre imponirende
    Persönlichkeit mit dazu beiträgt, den Adepten in die vorgeschriebenen
    festen Bahnen hineinzubannen.  Es können dadurch besondere Eigen-
    thümHchkeiten innerhalb größerer Kreise hervorgerufen werden, wie
    denn bekanntlich gerade in Kleinigkeiten viele Meister auf ihre Schüler
    abzufärben  pflegen. — Durch   sein Verhältniss   gegenüber dem
    suggerirten Individuum wirkt der Einzelne überall da, wo dieses von
    autoritativer Natur ist.  Die Autorität  spielt bekanntlich im Leben
    der Gesellschaft überall die größte Rolle.  Das Alter steht in einem
    solchen Verhältniss zur Jugend und ähnhch die social,  wirthschaft-
    lich und  geistig höher  stehenden Kreise zu den  tiefer stehenden.
    Es  ist dabei  eine merkwürdige Fügung, dass gerade die genannten
    Gruppen und Kreise meist besonders conservativer Natur sind, das
    Alter wegen  der Macht der Gewohnheit und Uebung,    des Mangels
    an Initiative und  dergleichen,  die oberen Gesellschaftsclassen wohl
    vorzüglich, weil sie vermöge der vorhin analysirten Gefühlswirkungen
    sich mit den bestehenden staatHchen und gesellschaftHchen Zuständen
    besonders  eng  verwachsen  fühlen,  und  die  geistige  Aristokratie
    wenigstens in Gestalt  der Priesterzünfte deswegen,  weil, wie oben
    betont,  in der Götterwelt das Alte  ein ganz besonders ehrwürdiges
    AntHtz  hat.  Dass der hier in Rede stehende Einfluss suggestiver
    Natur ist, erkennt man vorzüghch an solchen Fällen, bei denen der
    gesunde Geschmack und das gesunde Urtheil     geradezu durch ihn
    verfälscht werden,  z. B. bei so vielen Modethorheiten, bei den Arten
    von unverhältnissmäßigem Aufwand   u. dgl.,  in denen die niederen
    Classen die höheren nachahmen.
      Wundt, PhUos. Studien. XX.                        28
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