Page 450 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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438 ^- Vierkandt.
hat. Der Grund für den Inhalt dieser Zustände liegt also in den
herrschenden Anschauungen. Indem diese aber durch jene einen
vermeinthchen Beweis für ihre Richtigkeit finden, wirken jene wiederum
im Sinne der Verstärkung auf sie zurück. Es findet also eine Wechsel-
wirkung zwischen den Anschauungen der Gesammtheit und den Er-
lebnissen der Einzelnen mit dem Effecte der wechselseitigen Steige-
rung statt. Ein weiteres Beispiel entnehmen wir den schönen Erörte-
rungen Herbert Spencer's über den übertriebenen Glauben der
meisten Menschen an die Macht der Regierung, i) Dieser Glaube
lässt das Publicum überall, wo irgend welche Mängel der Pohtik sich
bemerklich machen, nach Abhülfe auf dem Wege der Thätigkeit der
Regierung, event auf dem Wege der Gesetzgebung rufen. Indem die
Regierung diesem Verlangen im allgemeinen entspricht, verstärkt sie
wiederum den Glauben an ihre Allmacht, der sie vorher zu solchen
Schritten veranlasst hatte ; also auch hier dieselbe Kreisbewegung mit
derselben Steigerung. Aehnlich verhält es sich mit der Schätzung
des Geldes: die theoretische Hochachtung des Einzelnen vor ihm
entspringt zum großen Theil der Wahrnehmung, dass alle Menschen
ihm nachtrachten, dieses Nachjagen aber beruht wieder zum großen
Theil auf der allgemeinen Werthschätzung. Besonders deutlich wird
diese Wechselwirkung bei solchen Zuständen, wo das Geld wenig
praktische, genauer wenig wirthschaftliche Bedeutung besitzt, wie das
bei den Naturvölkern meistens da der Fall ist, wo es lediglich als
sogenanntes Binnengeld innerhalb des Stammes vorzüglich zu socialen
Zwecken, wie Heirath, Einkauf in eine höhere Gesellschaftsciasse u. s. w.
verwendet wird. Für unsere Auffassung hat die Schätzung des Geldes
hier viel mehr einen imaginären Zug als bei uns. In der That ist
jener merkwürdige Zirkel, vermöge dessen das Geld von allen ge-
schätzt wird, weil es von allen erstrebt wird, und von allen erstrebt
wird, weil es von allen geschätzt wird, hier noch viel deutlicher, weil
seine Verwendung zu socialen Zwecken im ganzen doch eine seltene
ist und vorwiegend das Geld noch den Charakter eines Schmuckes
oder eines Luxus besitzt. Genau dasselbe können wir bei uns überall
da beobachten, wo es sich um Besitzthümer handelt, die entweder
gar keine oder keine in Betracht kommende praktische Verwendbar-
1) Spencer, Einleitung in die Sociologie I, S. 214.