Page 453 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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                    Die Grunde für die Erhaltung der Cultur.
     Fällen  sich  nicht  im  günstigen  sondern  im  ungünstigen  Sinne
     bemerklich macht,  nänüich  die  geringe  Befähigung  der  meisten
     Menschen,  sich  in den Zustand  eines andern hinein zu versetzen,
     insbesondere  also  auch  die  inneren  Widerstände  nachzufühlen
     und zu würdigen,   die ihm  die  Erfüllung  derartiger Normen  er-
     schweren.
        In anderen Fällen hat die Gruppe ein persönHches Interesse an
     der Befolgung ihrer Normen z. B. bei der Bestrafung von Verbrechern,
     bei dem Rechts- oder Gresetzesbruch, bei der Besteuerung und über-
     haupt bei der Aufrechterhaltung der  staatlichen und  gesellschaft-
     lichen Ordnung.  Wenn   hier  die Gruppe  jede Auflehnung gegen
     sie  verurtheilt,  so wirken  dabei  offenbar  egoistische und  sittUche
     Kräfte zusammen.    Aber  wesentlich  ist auch  hier,  dass  die Be-
     urtheilenden jedesmal über der ColUsion der Interessen stehen, von
     dem Drucke frei sind, der den Widerspenstigen zur Auflehnung an-
     treibt.
        Man pflegt den hier betrachteten Sachverhalt wohl auf die Formel
     zu bringen : die Gesellschaft zwingt den Einzelnen wider seine eigenen
     Interessen zu handeln, oder man sagt auch : die sitthche, gesellschaftr-
     liehe und staatliche Ordnung entspricht dem Egoismus der Gesammt-
     heit, und diese sorgt daher für sich selbst, wenn sie den Einzelnen
     an der Auflehnung gegen sie verhindert.  Diese Ausdrucksweise ver-
     schleiert den wahren Sachverhalt schon dadurch, dass  sie sich mit
     der einfachen Beschreibung des complexen Zustandes und Vorganges
     begnügt,  statt ihn in seine Bestandtheile zu zerlegen.  Sie verhüllt
     insbesondere aber das Eigenartige dieses Verhältnisses auch deswegen,
     weil  sie gar nicht auf denjenigen Vorgang eingeht, den wir in der
     üeberschrift als Rollenwechsel bezeichnet haben. Abgesehen nämlich
     von den gröberen Verletzungen   der bestehenden Ordnung kommt
     gelegentlich jeder Einzelne  in die Lage, sich gegen sie zu vergehen
     oder gegen  sie vergehen zu wollen und dabei denselben Druck der
     Gruppe zu erfahren, an dem er in anderen Fällen selbst mitzuwirken

     pflegt.  In  einem Bilde könnte man von   einer Gruppe  sprechen,
     deren Mitglieder sich gegenseitig  selbst Ketten anlegen, von denen
     jedesmal ein Einzelner  sich von den übrigen die Fessehi schmieden
     lässt, um sich danach, während das Loos der Reihe nach die anderen
     trifft, selber an dieser Knechtung zu betheiligen.  Bei der Befolgung
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