Page 529 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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Zur Theorie des Bewusstsemsumfanges und seiner Messung.
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entsprechend längeren Betrachtung der Schriftbilder diese Un-
ist
berechenbarkeit bekannt, und diese wird beim Uebergang zur tachisto-
skopischen Auffassung geradezu systematisch gesteigert. Auf die
Einzelheiten brauche ich hier unter Verweisung auf die genannten
Arbeiten wohl nicht weiter einzugehen. Zeitler insbesondere hat
die Fälle der objectiveren Würdigung des experimentell dar-
gebotenen optischen Bestandes einerseits und der subjectiv gefärbten
kritikloseren Festhaltung der sogleich aufsteigenden Wort-Associations-
inhalte mit ihrer assimilirenden Rückwirkung auf die optische
Anschauung selbst genauer zu analysiren und den an sich ganz
correct hervorgehobenen Gegensatz durch die Ausdrücke des »apper-
cipirenden« und »assimilirenden« Lesens zu fixiren gesucht. Der
erstere Ausdruck ist allerdings insofern nicht unmissverständlich, als
die »Apperception« auch für Zeitler wie bei Wundt die Stellung
eines Inhalts zum BHckpunkt des Bewusstseins bezeichnet i), welche
mit der Herkunft dieses Inhaltes aus der äußeren Wahrnehmung
und der hieraus entspringenden objectiven logischen Bedeutung an
sich nichts zu thun hat. Auch der assimilirte Inhalt ist ja stets in
diesem Sinne appercipirt. Der zweite, auch richtig bezeichnete Fall
des »assimilirenden« Lesens ist nun der Grundtypus der erwähnten
Störung einer experimentellen Beherrschung des Thatbestandes. In-
dessen kann die Umfangsbestimmung in dem hier überhaupt mög-
lichen Sinne durch diese Hlusionswii'kungen auf Grund der Assimila-
tionen deshalb doch nicht wesenthch verfälscht werden, weil für sie
eben die Herkunft der Ausfüllung schließHch gleichgültig ist, wenn
nur wenigstens die Zeitdauer des Bewusstseinsinhaltes
vom Experiment exact abgegrenzt bleibt. Wenn aber keine
hypnotische Beeinflussung des Beobachters vorliegt, wie sie hier
überall ausgeschlossen gedacht ist, so ist in der That anzunehmen,
dass die mit voller Empfindungsfrische gegebenen Assimilationen nicht
länger als die associativ allein wii-ksame Umgebung den Charakter
der unmittelbaren Wahrnehmung besitzen. Kam hingegen in der
1) Das Wort appercipere enthält ja allerdings, wie fast alle jetzigen Ausdrücke
für Bewusstseinsthatsachen als solche, der Entwicklung des Denkens überhaupt
entsprechend, eine Beziehung auf einen objectiven Thatbestand. Nach seiner psycho-
logischen SpeciaHsirung darf aber bei der Verwendung ein Rückfall m diese Be-
trachtung nicht mehr stattfinden.