Page 530 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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518 "Wilhelm Wirth.
Wahrnelimung selbst kein assimilirtes Beiwerk hinzu, so liegt eben
ein Fall der objectiveren Auffassung vor. Nachträgliche Beein-
flussungen hingegen können bei psychologischer Schulung des Be-
obachters, wie schon erwähnt, als bloße Vermuthungen aus dem
Resultat der sicheren Wiedergabe des wirklich Wahrgenommenen
leicht ausgeschieden werden i). So ist es also auch gar nicht zu ver-
wundern, dass durch die tachistoskopischen Leseversuche die Resultate
derartiger Umfangsbestimmungen mit reinen optischen Wahrnehmungs-
inhalten so gut als möglich bestätigt wurden. Sie stellen nach dem
soeben Gesagten allerdings nicht die einfachsten Fälle der Ableitung
des Aufmerksamkeitsumfanges dar, und man wird daher die Regeln
nicht von ihnen neu ableiten, sondern zufrieden sein, wenn man das
anderweitig Abgeleitete unter Berücksichtigung der complicirten Neben-
umstände in mehr deductiver Weise mit ihnen in Einklang zu bringen
vermag. Am einfachsten gestaltet sich diese Angleichung aber nun
bei der Darbietung sinnloser und ungeläufiger Buchstabencomplexe^
von denen in diesem Absätze zunächst ausgegangen worden war. Die
Verlegung der Apperception nach den unter Umständen assimilativ
modificirten Bedeutungsvorstellungen kann hier kein wesentlich anderes
Schauspiel der Vorstellungsconcurrenz im unmittelbaren Erleben und
der Reproductionshülfen bei der Wiedergabe darbieten, als es schon
die einzelnen optischen Zeichen als solche gethan hätten, wenn sie
ausschließlich als solche betrachtet worden wären. Bei einer sinn-
losen Combination herrscht allgemeine gegenseitige Concurrenz aller
richtig oder falsch gelesenen Buchstaben, sie müssen zur Ermöglichung
der Wiedergabe alle im einzelnen maximal klar werden^ und so werden
nur circa vier dieser zwar bedeutungsvollen, aber unter sich zu-
sammenhangslosen Elemente richtig wiedergegeben werden können.
9) Reduction des Resultates bei geläufigen Complexen
auf die bekannten Gesammtf ormen derselben. Eine genauere
1) Auf die vielen Variationen des Resultates, welche je nach der Art und
dem Zeitpunkte der Wiedergabe eintreten und die besonders von Finzi a. a. 0.
sorgfältig berücksichtigt wurden, kann ich hier nicht weiter eingehen. Bei der
Definition des Umkreises der »maximalen Klarheit«, die ja, wie aus dem Früheren
ersichtlich, von den Reproductionsbedingungen keineswegs unabhängig ist, ist aber
nur eine constante und womöglich günstigste Art und "Weise dieser Wiedergabe
vorausgesetzt.