Page 613 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
P. 613

Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.
                                                                  601
     denen  sie  bei  ausdrücklicher Beachtung  dieser Variationsrichtung
     schon  mit  einem  Verschiedenheitsbewusstsein  aufgefallen  wären,
     hätten bei entsprechender Concentration auf  die Helligkeitsverände-
     rungen noch kein entsprechendes Vergleichsbewusstsein bewirkt. Man
     könnte ja die Unwissenthchkeit durchwegs auch auf die Richtung
     der jeweiligen Variation ausdehnen und durch einen entsprechenden
     Wechsel  von  Variationen  z. B.  nach  Helligkeit, Form und Aus-
     dehnung diese innere Einstellung aufrecht erhalten, selbst wenn man
     schließlich nur in einer dieser Richtungen so  viel Abstufungen der
     Veränderung darbieten würde, dass ein entsprechendes Präcisionsmaß
     zu gewinnen wäre.   Ebenso ließe sich auch der  »reducirte* Werth
     durch die Anwendung des wissentlichen Verfahrens  (vgl. S. 598) mit
     ausdrücklicher Beachtung eines Objectes und einer einzigen Verän-
     derungsrichtung nacheinander für  die verschiedenen Variationsrich-
     tungen gewinnen.   Offenbar entspräche aber dieses ganze Verfahren
     einfach nur der Einführung neuer Concui'renzelemente in den simul-
     tanen Bewusstseinsumfang.   Wie auch schon oben    öfters erwähnt
     wurde,  besitzt  ein  einzelnes Vorstellungsobject  ja keineswegs nur
     immer im G-anzen einen bestimmten Bewusstseinsgrad.    Wenn wir
     dasselbe nach einer einzelnen Seite,  z. B. ein G-esichtsobject auf seine
     Helligkeit  hin  betrachten,  und  von  den  anderen  Seiten  ab-
     strahiren,  füllt es unseren gesammten Aufmerksamkeitsumfang natür-
     lich weniger aus, als wenn wir gleichzeitig die verschiedensten Seiten
     ins Auge fassen, gleichgültig, wie man sich den psychologischen Vor-
     gang der Abstraction im Einzelnen zurecht legt.  Eine solche gleich-
     mäßigere Betrachtung aller Seiten wird sich aber natürlich ganz von
     selbst einstellen, wenn die Richtung der Veränderung unbekannt  ist,
     und deshalb zur Erzielung eines Vergleichsurtheiles, das allen Mög-
     lichkeiten möglichst gerecht werden  soll, allerlei abstracte Seiten bei
     der Verarbeitung und allmählichen Beherrschung des Urcomplexes
      zugleich ins Auge gefasst werden müssen.  Die Unterschiedsschwelle
      für die Veränderung in einer von diesen voneinander relativ unab-
     hängigen  Richtungen   wird damit nothwendig  etwas  steigen.  Bei
      Ausschluss aller Richtungen bis auf eine  einzige,  z. B.  die Hellig-
      keitsveränderung, wird hingegen das gesammte Einzelobject thatsäch-

      Hch  als ein  einfachstes Element hinsichtHch  seines Anspruches an
      die Aufmerksamkeit gerechnet werden können, höchstens mit einer
   608   609   610   611   612   613   614   615   616   617   618