Page 617 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.
um eine Variation der Helligkeits- und Farbenverhältnisse handelt.
Da es indessen bei unserer Methode nicht etwa auf die absolute
Größe der Unterschiedsschwellen in Einheiten der variii-ten Größe,
sondern nur auf die angegebenen Verhältnisswerthe ankommt,
deren Zähler und Nenner beide Male unter den nämHchen optischen
und peripher-physiologischen Bedingungen abgeleitet sind, so kommt
dieser Adaptationsfactor wenigstens hier kaum als wesentlicher Ver-
suchsfehler in Betracht. Die ideale Form bei einer successiven Dar-
bietung der Vergleichsobjecte ist aber, wie schon gesagt, die tachisto-
skopische Variation eines continuirlich dargebotenen Urcomplexes,
und somit haben wir es bei den entsprechenden Versuchen, für welche
unten wenigstens noch die näheren technischen Einzelheiten besprochen
werden sollen^), mit ünterschiedsschweUen bei Veränderungsauf-
fassungen zu thun. Die Ableitung solcher > Veränderungsschwellen«
und zwar auch für Helligkeitsempfindungen, ist zum ersten Male von
W. Stern versucht worden 2). Dabei handelt es sich zwar im all-
gemeinen um eine endliche Dauer des Verlaufes der aufzufassenden
Variation, doch wurde auch untersucht, innerhalb welcher Grenzen
eine momentan erfolgende Helligkeitsveränderung vor sich gehen
Auch dieser Vorgang ist ja zwar
müsse, um merklich zu sein 3).
noch nicht mit unserer tachistoskopischen Variation identisch, da bei
Stern die plötzlich eingetretene neue Helligkeit fernerhin constant
blieb. Es liegt im Wesen unserer Methode, dass die Veränderung
den ürcomplex überhaupt nur für einen Moment von seiner con-
stanten und hinreichend bekannten und innerlich beherrschten Qua-
lität verschieden sein lässt, und wird der weitere Verlauf nach
dieser Variation erst weiter unten noch von anderen Gesichts-
punkten zu betrachten sein (S. 4, 14), welche die absolute Größe ver-
ändern können, die zur Merklichkeit unter diesen besonderen Um-
ständen nothwendig ist. Dennoch wird sich so viel im Voraus sagen
lassen, dass die allgemeinen psychologischen Verhältnisse dadurch
nicht principiell verändert werden, aus denen oben die Deutung des
1] Vgl. 6, 7.
2) W. Stern, Die Wahrnehmung von Hell.-Ver. Zeitschr. f. Psychol. VH,
S. 249, und »Psychologie der Veränderungsauffassung.. Breslau 1898.
3) William Stern, Zeitschr. für Psychologie und Physiol. d. Sinnesorgane.
7, S. 255.