Page 620 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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608                       Wilhelm Wirth.
       specielle VeränderungsVorstellung der Bewegung ein letztes Bewusst-
       seinselement, das eine selbständige Wirksamkeit besäße, abgesehen von
       dem Dasein der variirten Einzelqualitäten im gevv^öhnlichen präciseren
       Sinne des Wortes.  Der Bewusstseinsgrad der Veränderung hängt von
       demjenigen der Qualitäten ab, an denen er sich vollzieht, und wenn
       zahlreiche charakteristisch verschiedene Einzelelemente auf ihre Ver-
       änderung hin zu betrachten sind,  so  dass dem einzelnen Element
       weniger Klarheit zukommt,  so wird auch diese besondere Verände-
       rungsqualität  den  geringeren  Bewusstseinsgrad  ihrer  integrirenden
       Elemente theilen.  Wenn man also das Eigenartige des ganzen Vor-
       ganges  als »Veränderungsqualität«  noch  so genau kennen  gelernt
       hat,  so wird  dieses trotzdem niemals ohne jede Rücksicht auf  die
       sonstige Vorstellungsconcurrenz der ruhenden Qualitäten hervortreten,
       weil das klare Bewusstsein der Veränderung, auf das  es hier allein
       ankommt,  unter Voraussetzung   einer bestimmten Größe   der Ver-
       änderung nur bei einem bestimmten Klarheitsgrad der variirten Stelle
       bei der Veränderung möglich ist.  Das Bewusstsein der Veränderung
       besteht eben mit allen seinen Eigenthümlichkeiten kurz gesagt nur
       auf der Basis der entsprechenden Eigenthümlichkeiten des Bewusst-
       seins der Endpunkte der Variation  (bei momentaner Veränderung).
       Es  ist in diesem Sinne,  wie Meinong^)   sagt,  eine »Vorstellung
       höherer Ordnung«.   Somit unterscheidet es sich nicht von dem Ver-
       gleichsbewusstsein im allgemeinen und kann  alles dort Gesagte auf
       dasselbe angewendet werden.   Insbesondere  ist die besondere Ver-
       schiebung der Aufmerksamkeit nach der veränderten Stelle hin eben-
       falls nur ein  Specialfall der bei jedem  einfachen Verschiedenheits-
       bewusstsein gegebenen Verschiebung,  auf  die im  nächsten Absatz
       noch genauer einzugehen  ist.  Schließlich ist es vielleicht nicht ganz
       unnöthig, darauf hinzuweisen, dass auch in dieser Frage ein Zurück-
       greifen auf secundäre Hülfsmittel der Veränderungsauffassung, wie
       Empfindungen   plötzlicher Pupillenveränderung  u.  s. w.  niemals  als
       Gegeninstanz gegen   die Erwartung  einer Aeußerung der Bewusst-
       seinsfrage in dem angegebenen Sinne vorgebracht werden kann.  Falls
       wirklich  wie  hier  nicht  bloß  ein einziges Object,  z. B. mit einer
       einzigen Helligkeit, in Frage kommt, sondern ein größerer Complex,

           1) Vgl. Meinong  a. a. 0.
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