Page 619 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 607
im Falle der tachistoskopischen Variation eines vorher continuirlich
vorhandenen Feldes sei ja nicht einmal das Feld im Ganzen momentan
neu dargeboten, so dass es also doch keiner Orientirung mehr
bedürfe, ohne die eine besondere nicht zu auffäUige Marke leicht
übersehen werden kann. Damit würde indessen von vorne herein
eine Erfahrung bei weit übermerklichen Veränderungsgrößen
fälschlich auf unser Gebiet übertragen. Zunächst ist natürhch auch
schon die Feststellung eines einzelnen momentan auftauchenden
Gegenstandes, der auf einem gleichförmigen vorher behebig lange
betrachteten Felde auftritt, bei entsprechender Herabsetzung seiner
Abhebung vom Hintergrunde eine beUebig zu erschwerende Sache.
Wenn man also wirkHch für das ganze Feld gutstehen soll und im
Voraus absolut im Unklaren darüber ist, wo die tachistoskopische Ver-
änderung auftreten soll, wird man also für die verschiedenen Stellen
je nach der Größe des zu überbHckenden Feldes voraussichthch ver-
schiedene Veränderungsschwellen erhalten, im Vergleich zu der ebenso
momentanen Variation mit Wissen des Beobachters, an welcher Stelle
varürt wird, wie es eben bei den einfachen psychophysischen Ver-
suchen immer der Fall war. Damit würden aber natürhch nur die
besonderen Verhältnisse der Aufmerksamkeitsvertheilung und die
besondere Abhängigkeit der Absorption des gesammten Klarheits-
umfanges festgestellt, die rein durch die räumhche Ausdehnung der
simultan zu beherrschenden Fläche als solche, also durch ein Ganzes
aus lauter annähernd gleichwerthigen Einzelelementen, bestinmit ist
und nicht etwa einer einfach proportionalen, sondern viel geringeren
Zunahme der Absorption unserer Aufmerksamkeit mit Zunahme der
Fläche entspricht!). Eine comphcirtere Ausfüllung des Sehfeldes mit
pharakteristischen EinzelquaHtäten wird indessen auch die Schwelle
der »Veränderungsquahtät« entsprechend erhöhen, falls die Verände-
rung wirklich für jede charakteristische Einzelquahtät gleich sicher
erwartet werden muss. Denn das Bewusstsein der Veränderung
(das man ebenso wie jeden Inhalt eine Qualität nennen kann, wenn
man die eigentlich nothwendige Schärfe der Bezeichnungen momentan
außer Acht lassen will) ist ganz allgemein ebenso wenig wie die
1) Vgl. auch Th. Lipps, Die Quantität in physischen Gesammtvor^gen.
A. a. 0. S. 418.