Page 623 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
P. 623

Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.
                                                                 Q\\
    ganz allgemeines und sehr interessantes Problem der psychologischen
    >Mechamk«.    "Wo nur immer Einzelvorstellungen wegen   ihrer ur-
    sprünglichen inhaltlichen Gleichartigkeit innerhalb  eines Complexes,
    oder wegen ihrer associativen Einfügung in ein alltäglich gewohntes
    Ganze nicht selbständig unter Vernachlässigung der anderen Inhalte
    maximal beachtet werden, sondern nur innerhalb   des Ganzen mit
    einem entsprechend geringeren Antheil an dem gesammten Bewusst-
    seinsumfang, da wird eine entsprechende Veränderung irgend  eines
    einzelnen dieser zunächst relativ gleichmäßig beachteten Inhalte unsere
    Aufmerksamkeit auf denselben sammeln und    die anderen vorläufig
    um so mehr zurücktreten lassen.  Für eine genauere Analyse dieses
    Vorganges verweise ich vor allem auf  die mehrfachen eingehenden
    Darlegungen von Th. Lipps, der den ganzen Process bekanntHch
    in einem Bilde,  das den gesammten Bewusstseinsumfang mit dem
    Wasserstande eines Stromes vergleicht, als »psychische Stauung« be-
    zeichnet und insbesondere in seinem Verhältniss zu jenen entgegen-
    gesetzten Ausgleichungs- und Gewöhnungswirkungen untersucht hat.i)
    Es ist also diese ganze Vergleichsmethode geradezu als
    eine systematische Verwerthung der sogenannten »psy-
    chischen Stauung« zu betrachten, wie auch          andererseits in
     der allmählichen Ausbildung  einer  relativ ruhigen und constanten
    Aufmerksamkeitsvertheilung im Urcomplex vor der Vergleichung die
    nivellirenden Einflüsse der Ausgleichung und Gewöhnung nicht zu
    verkennen sind.
        Mit der gleichzeitigen Herabminderung der Klarheit der übrigen,
    nicht variirten Einzelelemente enthält das  sichere Urtheil der Ver-
    schiedenheit natürlich ein  solches Bewusstsein thatsächUch nur in
    dieser bestimmten Hinsicht.         Man  ist sich also bei der un-
    mittelbaren Wiedergabe dieses Urtheiles nicht bewusst, ob noch
    irgend wo anders ebenfaUs eine ähnHche Verschiedenheit stattge-
                  Damit kommen wir also nur auf die nämHchen Betrach-
     funden hat.
                    wie bei der tachistoskopischen Methode nach dem
     tungen  zurück,
                                Denn auch hier wird mit einer momen-
     früheren einfachen Princip.
     tanen Störung und Nothwendigkeit  einer schnellen Neuorgamsaüon

        1) Insbesondere .Grundthatsachen  des Seelenlebens«,  S. 335, 377 u.a.m.,
     sowie >Komik und Humor« S. 70 ff.
                                                        39*
   618   619   620   621   622   623   624   625   626   627   628