Page 624 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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Q12                       Wilhelm Wirth.

       in der kurzen Zeit der Ueberblick nur theilweise erreicht werden.
       Nur  ist natürlich  die Lage hier im  allgemeinen  viel  complicirter.
       Denn  erstens braucht die Vorbereitung des Beobachters vor    der
       tachistoskopischen Darbietung nicht einfach in dem Ueberblick über
       eine gleichfarbige Fläche zu bestehen, sondern kann  vielseitig be-
       schäftigt sein.  Die Aufmerksamkeit ist also dann im Uebrigen be-
       reits hinreichend absorbirt und steht nicht allen Neuerungen sozu-
       sagen beliebig zur Verfügung.  Zweitens wird aber auch dann, wenn
       eine eben merkliche Veränderung an verschiedenen Stellen auf
       einer zunächst völlig gleichmäßigen Fläche vorgenommen wird, eine
      viel ungünstigere Bedingung für  die Auffassung mehrerer solcher
       Veränderungen gegeben sein, weil jede einzelne Variation die zu ihrer
       Feststellung nothwendige maximale Klarheit sich nur  viel schwerer,
       d. h. eben maximal schwer, erobern kann, während dort die weit über-
      merklichen Unterschiede wie aufgesetzte Buchstaben, Figuren u. s. w.
       dies nicht nothwendig haben.  Dabei wird natürlich der Umfang, in
      welchem gleichzeitig das Verhältniss mehrerer Einzelelemente des
      ganzen Complexes zum Vergleichsobjecte     beurtheilt werden kann,
      zugleich in hohem Grrade von der zeitHchen Stellung der Vergleichs-
      objecte abhängig sein und bei dem continuirlichen Uebergang weiter
      reichen  als  bei  einer  gewissen  Zwischenzeit.  (Vgl. 4,  5).  Wenn
      natürlich  die Versuchsperson ein- für allemal weiss, dass nur  eine
      einzige Variation stattfindet, so ist die Lage bedeutend vereinfacht.
      Denn in diesem Falle wird einer einmal aufgetauchten Verschieden-
      heit in keiner Weise durch Zweifel und Fragen Concurrenz gemacht,
      was sonst noch im ganzen Complex vorgekommen ist. Und nachdem
      die Erkenntniss einer einfachen Variation ohne Vorherwissen der Stelle
      zur Lösung unserer Aufgabe hinreicht, würden somit mehrfache
      Variationen sogar als bloße Vexirversuche zur Erzielung
      einer Unwissentlichkeit nach dieser Richtung nur störend
      wirken.    Besondere Versuche   aber,  die  ausdrücklich  solche  auf
      größere Strecken bezogene Vergleichsurtheile nach  dieser Methode
      anstreben, entsprächen einer ganz secundären Fragestellung, deren
      Beantwortung im Wesentlichen von der Lösung der ersteren allge-
      meineren abhängig erscheint.
          13) Bedeutung einer Wiederholung des Urcomplexes
      nach Darbietung des Vergleichscomplexes.           Eine besondere
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