Page 677 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.
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     ein und dieselbe Spaltweite (natürlich sind außerdem auch hier Varia-
     tionen der Spaltweite durch verschiebbare Silberbelegung möglich) eine
     verschieden lange Unterbrechung bezw. Belichtung der variirten Stelle
     herbeiführen.  Diese kommt aber weniger als eine Veränderung der
     gesammten Variationszeit zur Geltung, sondern vor allem als Ver-
     änderung des Variationsumfanges.       Damit wird natürlich nicht
     etwa die der veränderten Reizdauer jeder Zeit entsprechende Ver-
     änderung der Wahmehmungsdauer für gleichgültig erklärt, wie sie
     sich insbesondere bei einmaliger tachistoskopischer Exposition eines
     Objectes nach vorheriger und  nachfolgender  unterschiedsloser und
     dunklerer Ausfüllung  des Sehfeldes geltend macht  (vgl. oben  2,  2).
     Bei dieser einmaligen Exposition des gesammten Bildbestandes, bei
     dem  es  sich um eine Neuauffassung des gesammten Bildes handelt,
     wird ja die Verlängerung der Wahmehmungsdauer an allen Punkten
     psychologisch zur G-eltung kommen.  In unserem Falle steht aber ja
     das Bild bereits an allen Stellen, abgesehen von der oben unwissent-
     lich  variirten Stelle,  fertig vor uns und wird während des Passirens
     des Spaltes überhaupt nicht verändert.  Für alle diese Stellen ist es
     daher ziemlich gleichgültig, wie lange der Spalt zum Vorbeiwandem
     braucht.  Höchstens für die variirte Stelle kann die Veränderung der
     Wahi'nehmungszeit  in Betracht kommen.   Auch kann bei Variation
     der »Spaltzeit« niemals der Fehler geleugnet werden, dass bei etwas
     längerer Variation  die fortwährende unwillkürhche Wanderung des
     Maximums der Aufmerksamkeit     (vgl. oben 2, 2) mehr Chancen hat,
     auch inzwischen an die  variirte Stelle zu kommen.  Indessen kann
     hier gerade  der nicht  allzu  geringe Variationsumfang der Reiz-
     dauer ausgenützt werden, der keine entsprechend große Veränderung
     der Wahrnehmungsdauer, sondern nur eine verschiedene Hellig-
     keit erzeugt.  Auch bei den einfachen tachistoskopischen Versuchen
     war ja hiervon schon  öfters  die Rede,  dass  eine Verkürzung der
     Reizdauer unter  ein bestimmtes Minimum   für  die Exposition der
     Bilder nicht zu verwenden  sei,  weil  sie keine viel kürzere Wahr-
     nehmungsdauer, dafür aber eine viel zu geringe Helligkeitsentwickelung
     der weißen Stellen des Bildes bewii'ke, von denen sich die dunklen
     der Schrift abheben sollen.  Der erste dieser Gesichtspunkte gestattet
     nun in unserem Falle gerade   die beliebige Variation innerhalb des
     Umfanges, der zweite, dass zu kurze Expositionen keine hinreichende
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