Page 74 - Was will Gott_Neat
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lieben vorbehalten, wie er es im ersten Gebot androht.
Darum gilt auch hier (beim achten. Gebot): Niemand
soll in eigener Person irgendjemanden richten und ver-
urteilen. Doch wo es diejenigen nicht tun, denen es be-
fohlen ist, sündigen sie ebenso wie jene, die es von sich
aus tun, ohne dazu beauftragt zu sein. Denn es ist nötig,
dass man vom Bösen spricht, es anklagt, hinterfragt,
darüber aussagt und es bezeugt. Und es ist ähnlich wie
bei einem Arzt, der gelegentlich jemanden, den er hei-
len will, auch an Stellen untersucht, die man ansons-
ten nicht herzeigt. So sind auch der Staat, Väter und
Mütter, ja auch Brüder und Schwestern und sonst gute
Freunde untereinander verpflichtet, Böses zu bestrafen,
wenn es nötig oder nützlich ist.
Richtig wäre es, wenn man die Ordnung nach dem
Evangelium halten würde (Mt. 18,15), in dem Christus
sagt: Wenn dein Bruder an dir sündigt, so kläre es zwi-
schen dir und ihm allein und strafe ihn. Da hast du eine
köstliche, feine Anweisung, um deine Zunge im Zaum
zu halten, eine Anweisung, die man sich gut merken
sollte, um den leidigen Missbrauch abzuwehren. Richte
dich danach und bringe den Nächsten nicht gleich bei
andern ins Gerede, sondern ermahne ihn unter vier Au-
gen, dass er sich bessern soll. Ebenso auch, wenn dir ein
anderer etwas zu Ohren bringt, was dieser oder jener
getan hat, dann sage ihm auch, dass er hingehen und
es dem Betreffenden vorhalten soll, sofern er das Böse
gesehen hat, wenn nicht, soll er das Maul halten. Das
kannst du auch an Beispielen des täglichen Lebens im
Haus und im Berufsleben lernen. Denn ein Dienstherr
verfährt so: Wenn er sieht, dass der Angestellte nicht
tut, was er soll, so redet er mit ihm selbst. Wenn er aber
so töricht wäre, und würde den Angestellten einfach
sitzen lassen, würde auf die Straße gehen, um es den
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