Page 76 - Was will Gott_Neat
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Das alles betrifft nun heimliche Sünden. Wo aber
die Sünde öffentlich und bekannt ist, dass das Gericht
und auch sonst jeder davon weiß, kannst du ihn, ohne
zu sündigen, meiden und laufen lassen, auch öffentlich
darüber reden, weil er sich selbst zuschanden gemacht
hat. Denn wo es bei Tageslicht offenkundig ist, kann
keine Nachrede, kein falsches Gerichtsurteil oder fal-
scher Zeuge, noch falsches Richten oder Zeugen sein,
so, wie wir jetzt den Papst mit seiner Lehre bestrafen,
die öffentlich in Büchern an den Tag gekommen und
in aller Welt bekannt ist. Denn wo die Sünde öffentlich
ist, soll auch eine öffentliche Strafe folgen, damit sich
jedermann davor hüten kann.
Dies ist also der hauptsächliche Sinn und die weit
gefasste Bedeutung dieses Gebotes, dass niemand mit
der Zunge seinem Nächsten, ob Freund oder Feind,
schaden und Böses über ihn reden soll, egal ob es wahr
oder erlogen ist – es sei denn, er habe einen Auftrag dazu
oder es geschieht zu dessen Besserung. Sondern jeder
soll seine Zunge dazu gebrauchen und in den Dienst
stellen, von jedermann das Beste zu reden, dessen Sün-
den und Schwächen zuzudecken, zu entschuldigen und
mit der eigenen Ehre für den anderen einzutreten. Der
Grund für solches Verhalten soll vor allem der sein, den
Christus im Evangelium (Mt. 7,12) nennt und mit dem
er alle Gebote, sofern sie den Nächsten betreffen, zu-
sammenfasst: Alles, was ihr wollt, das euch die Leute
tun sollen, das sollt ihr ihnen auch tun.
Auch lehrt solches die Natur an unserm eigenen
Leibe, wie St. Paulus 1. Kor. 12,22 sagt: „Die Glie-
der des Leibes, von denen wir denken, es seien die
schwächsten, sind die nötigsten, die, von denen wir
glauben, sie seien am wenigsten ehrbar, die umkleiden
wir mit besonderer Ehre und die, die uns übel anstehen,
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