Page 1061 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Neunundvierzigstes Kapitel
Inhaltsverzeichnis
Um die Freiheit einer Republik zu erhalten, bedarf es täglich neuer
Maßnahmen. – Für welche Verdienste Quintus Fabius den Beinamen
Maximus erhielt.
Wie schon früher gesagt, müssen in einer großen Stadt täglich Vorfälle
eintreten, die des Arztes bedürfen; je erheblicher sie sind, um so mehr
muß man nach einem guten Arzt suchen. In keiner Stadt aber gab es so
seltsame und unverhoffte Vorfälle wie in Rom, z. B. als sich alle
römischen Frauen verschworen zu haben schienen, ihre Männer
umzubringen. Viele Männer waren bereits vergiftet, und viele Frauen
hatten das Gift schon zubereitet. Ferner jene Verschwörung der
Bacchanalien 186 v. Chr., nach dem zweiten Mazedonischen Krieg. Über
7000 Personen wurden von den Konsuln vor Gericht gezogen und
großenteils zum Tode verurteilt. Vgl. Livius XXXIX, 8 ff., die zur Zeit
des Mazedonischen Krieges entdeckt wurde und in die schon mehrere
tausend Männer und Frauen verwickelt waren. Wäre sie nicht entdeckt
worden oder wäre Rom nicht gewohnt gewesen, ganze Scharen von
Verbrechern zu züchtigen, so wäre sie für die Stadt recht gefährlich
geworden. Kennten wir nicht schon aus zahllosen Proben die Größe
dieser Republik und die Kraft, mit der sie alles ausführte, so würden wir
sie aus der Art der Strafen ersehen, mit denen sie ihre Verbrecher
züchtigte. Sie stand nicht an, bisweilen eine ganze Legion, eine ganze
Stadt zum Tode zu verurteilen und 8000 bis 10 000 Menschen unter
außerordentlichen Bedingungen zu verbannen, die sonst nicht von einem,
geschweige denn von so vielen eingehalten werden. So erging es den
Soldaten, die bei Cannae unterlegen waren. Man wies sie nach Sizilien
aus und erlegte ihnen auf, in keiner Ortschaft zu wohnen und stehend zu
essen. Von allen Strafen aber war die schrecklichste das Dezimieren der
Heere, wo jeder zehnte Mann im ganzen Heer nach dem Los sterben
mußte. Es ließ sich zur Züchtigung der Menge keine abschreckendere
Strafe ersinnen; denn wenn die Menge ein Verbrechen begeht und der
Urheber ungewiß ist, kann man nicht alle strafen, weil es ihrer zu viele
sind. Einen Teil zu bestrafen und die übrigen frei ausgehen zu lassen,
hieße aber den Bestraften Unrecht tun und die Straflosen zu neuen
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