Page 143 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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sprach er, als daß sie allmälig sich einnistet und gar stille in die Sitten
                und Bestrebungen überfließt, aus diesen aber schon in größerer Gestalt in
                den wechselseitigen Verkehr hinaustritt, aus diesem Verkehre aber

                bereits gegen die Gesetze und gegen die Staaten, o Sokrates, mit vieler
                Unverschämtheit sich wendet, bis sie zuletzt Alles im Privat-und im
                öffentlichen Leben umstürzt. – Gut, sagte ich; verhält sich dieß wirklich
                so? – Ja, mir scheint es, sagte er. – Nicht wahr also, es müssen, wie wir
                schon zu Anfang sagten B. III, Cap. 11 f., unsere Kinder sogleich schon
                an einem gesetzlicheren Spiele sich betheiligen, da, wenn jenes ein
                widergesetzliches ist und auch Kinder selbst ebenso beschaffen sind,

                unmöglich aus ihnen gesetzliche und tüchtige Männer heranwachsen
                werden? – Wie sollte es auch anders sein? – Wenn also die Kinder schon
                das Spielen richtig beginnen und so die Wohlgesetzlichkeit vermittelst
                des Musischen in sich aufnehmen, so begleitet sie dieß in
                entgegengesetzter Weise wie jene zu Allem und befördert ihr
                Wachsthum, indem es selbst wieder aufrichtet, was vorher im Staate

                darniederlag. – Dieß ist allerdings wahr, sagte er. – Und also auch jene
                für unbedeutend gehaltenen gesetzlichen Bestimmungen, sprach ich,
                werden diese leicht selbst finden, welche von den Vorigen sämmtlich
                waren vernichtet worden. – Welcherlei? – Die folgenden: Das Schweigen
                der Jüngeren in Gegenwart der Aelteren, wie sich’s geziemt, und die
                Rangordnung im Sitzen und das Sicherheben vor den Aelteren und die
                Pflege von Vater und Mutter, und auch das Schneiden der Haare und des

                Bartes und die Kleidung und die Beschuhung und die gesammte Haltung
                des Körpers und was sonst dergleichen ist; oder glaubst du nicht? – Ja
                gewiß. – Gesetzliche Bestimmungen aber hierüber aufzustellen, halte ich
                für einfältig, denn weder läßt sich solches doch wohl als Gesetz in Worte
                und Buchstaben bringen, noch hätte es in denselben Bestand. – Wie
                sollte es auch? – Es kömmt also wohl darauf hinaus, o Adeimantos, sagte

                ich, daß, nach welcher Richtung hin Jemand in Folge seiner Bildung den
                Weg einschlägt, eben derartiges auch das hierauf Folgende sein wird;
                oder ruft nicht immer das Gleiche Gleiches hervor? – Wie denn anders?
                – Und wir könnten, glaube ich, wohl behaupten, daß es zuletzt in irgend
                ein Einziges und Vollständiges und Uebersprudelndes, sei es ein Gutes
                oder dessen Gegentheil, auslaufe. – Warum auch nicht? sagte er. – Ich
                demnach, sprach ich, möchte deswegen es nicht mehr versuchen, über

                Derartiges gesetzliche Bestimmungen zu geben. – Ja, aus guten Gründen,
                sagte er. – Wie aber? bei Gott! sagte ich, dieses Alltägliche da, was den
                Marktverkehr betrifft, in welchem die Einzelnen wechselseitig stehen,
                und was, wenn du willst, auch den Handwerker-Verkehr betrifft und was





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