Page 153 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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jenes hingeblickt, sondern weit in die Ferne hinaus irgendwohin gespäht,
                daher denn auch es wohl kam, daß jenes uns entging. – Wie meinst du
                dieß? sagte er. – So meine ich es, sprach ich, daß es mir vorkommt, als

                wenn wir, obwohl wir es schon längst gesagt und gehört haben, doch aus
                unseren eigenen Worten es nicht verstünden, daß wir es in gewisser
                Weise ja schon gesagt haben. – Lang, sagte er, ist dieses Vorspiel für
                denjenigen, der die Sache zu hören wünscht. –
                     10. Aber höre nun, sprach ich, ob ich auch das Richtige sage;
                nemlich jenes, wovon wir gleich zu Anfang B. II, Cap. 11., als wir
                unseren Staat gründeten, aufstellten, daß man es in jeder Beziehung thun

                müsse, ist entweder selbst, wie mir scheint, oder wenigstens irgend eine
                Art desselben die Gerechtigkeit. Aufgestellt aber haben wir ja damals
                und dann öfters noch es ausgesprochen, wenn du dich erinnerst, daß ein
                jeder Einzelne irgend Eines von demjenigen, was zum Staate gehört,
                betreiben solle, wozu nemlich seine Begabung von Natur aus am
                tauglichsten sei. – Ja. so sagten wir. – Und nun haben wir ja auch den

                Anspruch, daß Gerechtigkeit darin bestehe, das Seinige zu thun und nicht
                Vielgeschäftigkeit zu treiben, schon sowohl von vielen Anderen gehört,
                als auch selbst dieß häufig gesagt. – Ja wohl, wir sagten dieß. – Es
                kömmt demnach darauf hinaus, mein Freund, daß in gewisser Weise
                dieß, wenn es wirklich geschieht, nemlich wenn Jedes das Seinige thut,
                die Gerechtigkeit sei. – Und weißst du, woraus ich dieß abnehme?.–
                Nein, sondern sprich es aus, sagte er. – Es scheint mir, sprach ich,

                dasjenige, was im Staate außer dem bisher schon Betrachteten, nemlich
                außer der Besonnenheit und der Tapferkeit und der Klugheit, noch übrig
                bleibt, eben jenes zu sein, welches allen diesen die Fähigkeit verleiht,
                daß sie entstehen, und wenn sie entstanden sind, ihnen das
                Bewahrtbleiben verleiht, so lange sie vorhanden sind; und wir sagten ja
                doch Oben Cap. 6. Vgl. aber auch obige Anm. 155., daß Gerechtigkeit

                das übrig bleibende sein werde, sobald wir die anderen drei gefunden
                hatten. – Ja, nothwendig muß es auch so sein, sagte er. – Aber in der
                That, sprach ich, wenn wir ein Urtheil fällen müßten, welches von all
                diesen durch sein Eintreten am meisten den Staat zu einem trefflichen
                mache, so möchte es schwer zu beurtheilen sein, ob dieß jene Eintracht
                zwischen den Herrschenden und den Beherrschtwerdenden, oder ob es
                jene Bewahrung der gesetzlichen Meinung über das irgend Furchtbare

                und nicht Furchtbare sei, welche bei den Kriegern sich einstellt, oder ob
                es jene Klugheit und Bewachung sei, welche in den Herrschern sich
                findet, oder ob eben dieß den Staat zumeist zu einem trefflichen mache,
                wenn es in Kindern und in Frauen und in Sklaven und in Freien und in





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