Page 157 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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oder das Geldbegierige, von welchem man behaupten möchte, daß es in
                hohem Grade in Phönikien und Ägypten sich findeHiemit dreht sich der
                Kernpunkt der ganzen Beweisführung Plato’s schlechthin im Kreise

                herum; es sind nemlich bisher die hauptsächlichen psychischen
                Tätigkeiten nur nach Anschauungen und mit Worten bezeichnet worden,
                welche ausschließlich dem Staatsleben entnommen waren, und nun wird
                kurzweg behauptet, die staatlichen Standes-Unterschiede und ihre
                Funktionen seien eben bloß aus den psychischen Thätigkeiten
                entstanden. Wahrlich nicht widersinniger, als diese Identificirung des
                Einzel-Individuums mit dem Staate, wäre es, wenn Jemand theoretisch

                über die Komposition einer musikalischen Symphonie spräche und die
                Behauptung aufstellte, daß das Allegro und das Adagio und das Scherzo
                und das Finale schon in jeder einzelnen Note als einzelner stecken
                müsse, wobei er ja auch mit einer doctrinären Attitüde vor uns hintreten
                und die Frage hinschleudern könnte: »woher anders ist denn das Allegro
                und das Adagio u. s. f. in die Symphonie gekommen, als eben aus den

                einzelnen Noten?« Daß ferner National-Charaktere mit der psychischen
                Begabung zusammenhängen, versteht sich wohl von selbst; aber was
                haben dieselben denn mit den Grundbegriffen des Staatsrechtes zu
                schaffen? – Uebrigens sieht man, daß innerhalb der hier genannten
                Nationalitäten die hellenische, und speziell die athenische, sicher nicht
                karg behandelt ist; es muß uns dieß an einen anderen Ausspruch Plato’s,
                welchen wir im »Gastmahle« (s. dort m. Anm. 21) trafen, erinnern, daß

                nemlich nur in Athen allein die wahre Päderastie gedeihen könne. Eine
                derartige Selbstbespieglung der Griechen gegen den übrigen Nationen ist
                sogar in die medicinisch-physiologische Wissenschaft eingedrungen,
                denn Hippokrates construirt in nicht unähnlicher Weise solche Völker-
                Unterschiede aus den Mischungen der »Säfte«.. – Ja wohl, sicher, sagte
                er. – Dieß denn nun verhält sich so, sagte ich, und nicht schwierig ist es,

                dieß zu erkennen. – Nein, gewiß nicht. –
                     12. folgendes aber ist bereits etwas Schwieriges, ob wir vermittelst
                Ein und des Nämlichen jedes Einzelne von diesen verüben, oder ob, da
                jenes drei sind, vermittelst eines jeden ein Anderes, so daß wir nemlich
                vermittelst des Einen lernen, vermittelst des Anderen in uns aber muthig
                sind, und hinwiederum vermittelst eines dritten begehrlich sind in den
                die Nahrung und Zeugung betreffenden Vergnügungen und Allem, was

                hiemit verschwistert ist, oder ob wir vermittelst der gesammten Seele in
                jedem von diesen thätig sind, wann wir einmal in Bewegung gekommen
                sind. Dieß wird es sein, was schwierig in einer der Begründung würdigen
                Weise festzustellen sein dürfte. – Ja, auch mir scheint es so, sagte er. –





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