Page 155 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
P. 155
ein Verüben des Bösen genannt werden. – Ja wohl, gar sehr. – Das größte
Verüben des Bösen aber gegen seinen eigenen Staat, wirst du dieß nicht
als Ungerechtigkeit bezeichnen? – Wie sollte ich anders? – Dieß also ist
die Ungerechtigkeit.
11. Hinwiederum aber wollen wir es folgendermaßen ausdrücken:
Die eigenthümliche Tätigkeit der gelderwerbenden und der helfenden
und der wachenden Klasse, wenn nemlich jede derselben im Staate das
Ihrige thut, möchte wohl als das Gegentheil von jenem die Gerechtigkeit
sein und den Staat zu einem gerechten machen? – Nicht anders, sagte er,
scheint es mir sich zu verhalten, als eben so. – Wir wollen jedoch, sprach
ich, hierüber noch nichts völlig Festes sagen, sondern erst, wenn diese
Form, auch auf jeden einzelnen Menschen angewendet, dort gleichfalls
in Uebereinstimmung hiemit als Gerechtigkeit sich zeigt, wollen wir es
völlig zugestehen; denn was könnten wir dann auch Anderes sagen?
wenn aber nicht, dann wohl werden wir etwas Anderes erwägen. Nun
aber wollen wir eben jene obige Erwägung B. II, Cap. 10. zu ihrem Ende
führen, bei welcher wir der Ansicht waren, daß, wenn wir zuerst in
irgend einem größeren die Gerechtigkeit enthaltenden Dinge versuchen
würden, sie zu betrachten, wir sie dann leichter auch im einzelnen
Menschen erblicken könnten, welcherlei nemlich sie sei; und es schien
uns dieß ja damals der Staat zu sein, und so gründeten wir diesen als
einen bestmöglichsten, da wir wohl wußten, daß nur in dem guten das
Gerechte sein könne. Also was uns dort im Staate sich zeigte, wollen wir
jetzt auf den Einzelnen zurückbeziehen, und wenn es da in
Uebereinstimmung bleibt, wird es gut gehen; falls aber in dem Einzelnen
etwas Anderes sich zeigen sollte, müssen wir wieder zum Staate zurück
hinausgehen und dort es erproben; und vielleicht möchten wir, wenn wir
wechselseitig es erwägen und gegenseitig aneinander reiben, bewirken,
daß wie aus zwei geriebenen Feuerholzen die Gerechtigkeit aufflamme,
und wir sie dann als eine uns sichtbar gewordene auch bei uns selbst
befestigen. – Du bezeichnest aber hiemit auch völlig den richtigen Weg,
und wir müssen es so machen. –
Ist also nun, sprach ich, dasjenige, was man in seiner kleineren und
auch in seiner größeren Gestalt als Ein und das Nemliche bezeichnet,
eben in jener Beziehung, in welcher man es das Nemliche nennt, ein
Unähnliches oder ein Aehnliches? – Ein Aehnliches, sagte er. – Also
wird auch ein gerechter Mann von einem gerechten Staate eben
bezüglich der Form der Gerechtigkeit sich nicht unterscheiden, sondern
ihm ähnlich sein? – Ja, ähnlich, sagte er. – Ein Staat aber schien uns ja
darum gerecht zu sein, weil von den drei in ihm befindlichen Gattungen
154