Page 154 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Handwerkern und in Herrschenden und in Beherrschtwerdenden sich
                findet, daß nemlich ein jeder Einzelner als Einer das Seinige thut und
                nicht Vielgeschäftigkeit treibt. – Ja, schwer zu beurtheilen ist dieß, sagte

                er; und warum auch nicht? – In einem Wettstreite also, wie es scheint,
                mit der Weisheit und mit der Besonnenheit und mit der Tapferkeit
                befindet sich bezüglich der Trefflichkeit eines Staates die Fähigkeit, daß
                jeder Einzelne in ihm das Seinige thue. – Ja, und zwar in hohem Grade,
                sagte er. – Nicht wahr also, du würdest hiemit Gerechtigkeit als
                dasjenige bezeichnen, was eben mit jenen bezüglich der Trefflichkeit
                eines Staates im Wettstreite ist? – Ja, durchaus wohl. – Erjage es

                demnach auch folgendermaßen, ob es dir so zu sein scheine: Wirst du
                den Herrschern im Staate auftragen, daß sie die Rechtshändel richterlich
                entscheiden? – Wem denn sonst? – Werden sie wohl nach irgend etwas
                Anderem bei ihrer richterlichen Entscheidung streben, als darnach, daß
                jeder Einzelne weder das Fremde habe, noch des Seinigen beraubt
                werde? – Nein, sondern eben darnach. – Und zwar als nach einem

                Gerechten? – Ja. – Also auch nach dieser Beziehung möchte wohl
                zugestanden werden, daß das Behüten und das Verüben des je
                Eigenthümlichen Gerechtigkeit sei. – Ja, so ist es. – So sieh denn nun zu,
                ob es dir auch so scheine wie mir: Wenn ein Baumeister die Arbeit eines
                Lederarbeiters oder ein Lederarbeiter die eines Baumeisters zu
                verfertigen versuchte, oder sie wechselseitig an ihren Werkzeugen oder
                ihrer Standes-Geltung Antheil nehmen würden, oder auch Ein und der

                Nemliche beides zu verüben versuchen würde und dabei alles Uebrige
                wechselseitig vertauscht wäre, schiene er dir ja einen großen Schaden
                dem Staate zuzufügen? – Hiedurch wohl noch keinen gar großen, sagte
                er. – Aber ja, glaube ich, wenn Einer, welcher von Geburt aus ein
                Handwerker oder irgend ein anderer Gelderwerber ist, hernach durch
                Reichthum oder durch die Zahl seiner Leute oder durch Kraft oder sonst

                etwas Derartiges sich selbst überheben und in die Klasse der Krieger
                einzutreten versuchen würde, oder einer der Krieger in die der
                Berathenden und Wächter, ohne solches zu verdienen, und wenn da diese
                wechselseitig an ihren Werkzeugen oder ihrer Standes-Geltung Antheil
                nehmen würden, oder wenn Ein und der Nemliche all dieß zu verüben
                versuchen würde, dann glaube, daß wohl auch dir dieser wechselseitige
                Uebergang und diese Vielgeschäftigkeit dieser für den Staat ein

                Verderben zu sein scheinen wird. – Ja, durchaus wohl. – Also die
                Vielgeschäftigkeit der drei Gattungen, welche es gibt, und ihr
                wechselseitiger Uebergang in einander ist sowohl der größte Schaden für
                den Staat, als auch möchte dieß wohl am richtigsten im höchsten Grade





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