Page 16 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Gehörssinn, die Musik, und zwar nicht wegen der praktischen Ausübung,
sondern um ihrer mathematischen Gesetze willen (c. 12). Die
Vereinigung dieser Gegenstände und die Einsicht in ihre Verwandtschaft
führt zur Dialektik und zur Erfassung der Idee, wodurch im Gegensatze
gegen das Traumleben der praktischen Fächer der Gipfel des wahren
Wissens erreicht wird (c. 13 u. 14). Hier muß daher von Jugend an eine
strenge Erprobung stattfinden, daß nur der wahrhaft Befähigte
zugelassen werde, und nicht erst die Greise sollen lernen (c. 15), sondern
schon bei den Kindern handelt es sich um die Freudigkeit des Lernens;
später dann muß bei den jüngeren Männern erprobt werden, wer das
Seiende erfassen könne, wobei sie sich lossagen von den unächten Eltern
geistiger Schmeichelei (c. 16), und zeigen, daß sie die Dialektik nicht zu
Schlechtem mißbrauchen; noch später dann werden sie in die praktischen
Verhältnisse zurückgebracht, und nachdem sie auch dort die Probe
bestanden, herrschen und lehren sie glücklich und geehrt, sie und ihre
Frauen. So werden die Weisheitsliebenden die Herrscher sein; die Kinder
der jetzigen Generation aber soll man ferne von den jetzigen Sitten
erziehen, um dereinst einen solchen Staat zu ermöglichen (c. 17).
Nun sind die Formen der Ungerechtigkeit, d. h. die vier schlechten
Staatsverfassungen zu betrachten, nemlich: Timokratie, Oligarchie,
Demokratie, Gewaltherrschaft; einer jeden aber muß auch im
Individuum eine Beschaffenheit der Seele entsprechen, und es ist daher
in dieser doppelten Beziehung der Uebergang zum Schlechten und das
Auftreten desselben zu betrachten ( achtes Buch, c. 1 u 2). All solcher
Uebergang liegt in einer Zwietracht des Herrschenden, und wenn bei der
Geburt der Herrschenden nicht die richtigen Zahlen-Verhältnisse
eingehalten wurden, tritt in Folge hievon eine Abweichung von der
richtigen Erziehung ein. So geht die beste Verfassung zunächst in die
Timokratie über, indem durch Vermischung des schlechten Metalles mit
dem edlen Kampf entsteht und zur Schlichtung desselben Privat-Besitz
eingeführt wird (c. 3); ein solcher Staat ist noch mit dem guten verwandt
in der Stellung der Herrscher und in der Einrichtung gemeinschaftlicher
Bürgermahlzeiten, aber streift bereits an das Oligarchische durch
Ueberwiegen des Muthigen und durch Wertschätzung des Besitzes (c. 4)
Der dieser Verfassung entsprechende einzelne Mensch ist kriegerisch
und nimmt von einer ursprünglich guten Jugend an stets in Geldsucht
und Ehrliebe zu (c. 5). Der Uebergang von da in die Oligarchie beruht im
fortwährenden Wachsen der Gewinnsucht und des Gelderwerbes,
wornach Alles, zuletzt selbst die Theilnahme am Herrschen, bemessen
wird; ein solcher Staat verschmäht das Wissen und wird in zwei Parteien,
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