Page 163 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
P. 163
Befindliche Formen festgestellt sein; aber nun der Muth und dasjenige,
vermittelst dessen wir muthig sind, möchte dieß wohl etwa ein Drittes
für sich sein, oder mit welchem von jenen beiden wäre es von gleicher
Natur? – Vielleicht, sagte er, mit jenem anderen, nemlich mit dem
Begehrlichen. – Aber ich habe einst, sprach ich, gehört und glaube es
auch, daß Leontios, der Sohn des Aglaion, einmal vom Piräus an der
äußeren Seite der nördlichen Mauer in die Stadt hinaufging und, als er
bemerkte, daß dort Leichen bei der Wohnung des Scharfrichters lagen,
habe er zugleich das Verlangen gehabt, hinzuschauen, zugleich aber habe
es ihm widerstanden und er habe sich hinwiederum weggewendet, und
eine Zeitlang nun habe er so mit sich gekämpft und sein Gesicht verhüllt,
zuletzt aber sei er von dem Verlangen überwältigt worden, und seine
Augen weit aufreißend sei er zu den Leichen hingelaufen und habe
gerufen: Sieh da, ihr Unglücklichen, sättiget euch an dem herrlichen
Anblicke. – Auch ich, sagte er, habe es gehört. – Diese Kunde, sprach
ich, drückt nun doch aus, daß zuweilen der Muth gegen die Begierden
kämpfe, wie ein Verschiedenes gegen Verschiedenes. – Ja wohl drückt
sie es aus, sagte er. –
15. Nicht wahr also, auch anderwärts, sagte ich, nehmen wir häufig
wahr, daß, wenn Jemanden gegen den Rath der Vernunft die Begierden
mit Gewalt zwingen wollen, er über sich selbst schmäht und seinem
Muthe Luft macht gegen dasjenige in ihm, was ihn mit Gewalt zwingen
will, und daß gleichsam wie bei einer Parteiung der Muth eines Solchen
zum Bundesgenossen der Vernunft wird? hingegen daß der Muth mit den
Begierden gemeinschaftliche Sache mache, während die Vernunft
betreffenden Falls das Unterlassen vorzieht, möchtest du wohl weder an
dir selbst, noch auch, glaube ich, an einem Anderen als wirklich
vorgekommen wahrgenommen haben. – Nein, bei Gott nicht, sagte er. –
Wie aber? sprach ich; falls Jemand einem Anderen Unrecht gethan zu
haben glaubt, wird er da nicht, gerade je edler er ist, um so weniger
jenem zu zürnen fähig sein, selbst wenn er hungert und friert, oder irgend
etwas Anderes derartiges durch jenen erleidet, von welchem er glaubt,
daß er Solches mit Recht gegen ihn verübe, und wird dann nicht, was ich
eben hiemit sagen will, der Muth desselben durchaus sich weigern,
gegen jenen sich aufregen zu lassen? – Ja, dieß ist wahr, sagte er. – Wie
aber? falls Jemand der Meinung ist, Unrecht erlitten zu haben, wird da in
diesem nicht der Muth kochen und grollen und mitkämpfen mit dem für
Recht Erachteten, trotz Hunger und Frost und trotz all derartiger
Einwirkungen, und wird er da nicht ausharrend siegen und unablässig
das Edle verfolgen, bis er es entweder durchgesetzt hat, oder selbst
162