Page 167 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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vollständig feststellen, wenn wir jene niedrigen Dinge hiezu beiziehen. –
                Welche denn? – Nemlich, wenn wir betreffs jenes Staates und betreffs
                desjenigen Mannes, welcher eine ihm gleichkommende Begabung und

                Bildung hat, uns darüber verständigen müßten, ob wohl ein Derartiger
                das von ihm zur Aufbewahrung überkommene Gold oder Silber
                unterschlagen zu wollen scheine, wer würde wohl deiner Meinung nach
                da glauben, daß Jener zu einer solchen That eher fähig sei, als die nicht
                so gesinnten Menschen? – Niemand wohl, sagte er. – Nicht wahr also,
                auch was Tempelraub und Diebstahl und Verrätherei, sei es im Einzelnen
                gegen Freunde, oder im Oeffentlichen gegen den Staat betrifft, dürfte

                wohl der Derartige gänzlich hievon fern sein? – Ja, fern. – Und nun ist er
                ja auch wohl in keiner Weise treulos, sei es in Eidschwüren oder in den
                übrigen Versprechungen. – Wie sollte er auch? – Ehbruch aber und
                Vernachlässigung der Eltern und Mangel an Dienstleistungen gegen die
                Götter würden wohl bei jedem Anderen eher als bei dem Derartigen sich
                finden. – Ja, bei Jedem eher, sagte er. – Nicht wahr also, von all diesem

                ist die Ursache, daß von den in ihm befindlichen Theilen jeder einzelne
                betreffs des Herrschens und Beherrschtwerdens das Seinige thut? – Ja
                dieß, und nichts Anderes. – Suchst du also unter der Gerechtigkeit noch
                irgend etwas Anderes, als eben diese Kraft, welche die Männer und die
                Staaten zu derartigen macht? – Nein, bei Gott, sagte er, ich gewiß nicht.
                –
                     17. Seine Erfüllung also hat jener Traum uns nun vollständig

                gefunden, welchen wir schon als eine Ahnung aussprachen B. II, Cap.
                10., daß wir wohl gleich beim Anfange der Gründung unseres Staates
                darauf hinauskommen würden, mit eines Gottes Hülfe in den Ursprung
                und ein gewisses Gepräge der Gerechtigkeit einzutreten. – Ja, durchaus
                wohl. – Dieß also, o Glaukon, war ja hiemit wohl auch der Grund,
                warum es als ein Abbild der Gerechtigkeit nützlich ist, wenn der

                Lederarbeiter seiner Begabung nach sich richtig verhält bezüglich der
                Lederbearbeitung und er nichts Anderes verübt, und der Baumeister eben
                nur Bauten aufführt, und so auch bei allem Uebrigen. – Ja, so zeigt
                sich’s. – In wahrer Wirklichkeit aber war, wie es scheint, die
                Gerechtigkeit ein Derartiges, und zwar nicht betreffs der äußeren
                Ausübung des eigenen Thuns, sondern in Wahrheit betreffs der inneren
                im eigenen Wesen und eigenen Thun, daß nemlich der Mensch jeden

                einzelnen seiner Theile nicht Fremdes verüben und die Gattungen seiner
                Seele nicht wechselseitig Vielgeschäftigkeit betreiben lasse, sondern in
                Wirklichkeit das ihm Eigenthümliche gut einrichte und sich selbst so
                beherrsche und ordne und sein eigener Freund werde und in Harmonie





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