Page 173 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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werden, als auch daß es, falls es noch so sehr wirklich einträte, so am
                besten sei, wird man gleichfalls nicht glauben; darum denn nun nehme
                ich auch gewissermaßen Anstand, diese Dinge zu berühren, damit nicht,

                mein lieber Freund, die ganze Erörterung bloß ein frommer Wunsch zu
                sein scheine. – Nimm keinen Anstand, sagte er; denn weder stumpfsinnig
                noch ungläubig noch übelgesinnt gegen dich sind deine Zuhörer. – Und
                ich sprach: Sagst du dieß, mein Bester, etwa in der Absicht, um mir
                Muth einzuflößen? – Ja gewiß, sagte er. – Nun du erreichst, erwiederte
                ich, gerade das Gegentheil; denn wenn ich auf mich selbst das Vertrauen
                hätte, daß ich gewiß wisse, was ich sagen soll, wäre der Trostspruch ganz

                gut; denn unter verständigen und uns lieben Menschen über die
                wichtigsten und uns lieben Dinge mit dem vollen Wissen der Wahrheit
                zu sprechen, ist ungefährlich und Muth einflößend, hingegen wenn man
                kein Vertrauen auf sich haben kann und, während man die Begründungen
                ausspricht, man sie selbst erst suchen muß, wie bei mir dieß der Fall ist,
                so ist dieß etwas Aengstliches und Gefährliches, nicht etwa daß man

                dabei sich lächerlich mache, – denn dieß wäre allenfalls noch ein Scherz
                –, sondern daß ich, abgleitend von der Wahrheit, nicht bloß allein zu
                Boden stürze, sondern auch meine Freunde im Sturze mit mir ziehe, in
                Dingen, in welchen man am allerwenigsten ausgleiten soll. Ich flehe
                aber, o Glaukon, zur AdrasteaS. m. Anm. 44 z. Phädrus. um dessen
                willen, was ich zu sagen im Begriffe bin; denn ich antworte, daß es ein
                geringeres Verbrechen sei, wenn man unfreiwillig Jemanden tödtet, als

                wenn mau ihn bezüglich des Trefflichen und Guten und Gerechten und
                Gesetzlichen betrügt; dieser Gefahr also sich auszusetzen, geht eher
                unter Feinden als unter Freunden an, und demnach passen deine
                Trostsprüche nicht. – Und Glaukon sagte lachend: Aber, o Sokrates, falls
                uns in Folge deiner Begründung irgend ein Fehlgriff widerfährt, so
                verfolgen wir dich nicht weiter, da du am Todtschlage unschuldig und

                kein Betrüger bist; also sprich nur getrost. – Aber in der That ja, sagte
                ich, als unschuldig gilt auch dort derjenige, welcher nicht weiter verfolgt
                wird, wie das Gesetz lautetD. h. nach attischem Strafrechte war bei
                unfreiwilliger Tödtung (nur von dieser nemlich ist hier die Rede, nicht
                aber vom Morde) die gerichtliche Verfolgung des Thäters ausschließlich
                Sache der Blutsverwandten des Getödteten. und sobald daher diese von
                weiterer Verfolgung freiwillig abstanden, war der ganze Vorfall an sich

                erledigt. (Von etwas Anderem ist an dieser Stelle gar keine Rede,
                ungeschickt wäre es, hiebei an Bestrafung im oder Hades oder dgl.
                denken zu wollen).; wahrscheinlich aber wird es, da es auf jenem
                Gebiete so ist, auch hier so gelten. – Was also dieß betrifft, sagte er, so





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