Page 177 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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verschiedene Werkthätigkeit muß gebührender Weise einem jeden von
beiden vorgeschrieben werden, nemlich die naturgemäße? – Wie denn
anders? – Wie also, seid ihr nicht jetzt im Irrthume und sprecht das
Gegentheil gegen euch selbst, da ihr nun hinwiederum behauptet, die
Männer und die Frauen sollen das Nemliche thun, während sie doch eine
so sehr von einander getrennte Natur haben? – Würdest du nun, o
Wunderlicher, irgend Mittel haben, dich hingegen zu vertheidigen? –
Sogleich im ersten Augenblicke, sagte er, ist dieß nicht leicht; sondern
ich werde dich bitten und bitte dich hiemit bereits darum, du möchtest
auch der Begründung zu unseren Gunsten, welcherlei sie sein mag,
Worte leihen. – Dieß ist es, o Glaukon, sprach ich, und noch viel Anderes
dergleichen, was ich schon längst voraussah und daher nicht fürchtete
und Anstand nahm, das Gesetz betreffs des Besitzes und der Pflege der
Frauen und Kinder zu berühren. – Nein allerdings, bei Gott, sagte er, es
scheint dasselbe nicht leicht zu behandeln zu sein. – Allerdings nicht,
sprach ich; aber es verhält sich wohl folgendermaßen: mag Jemand in
einen kleinen Teich oder mitten in das größte Meer gefallen sein,
schwimmen muß er dennoch jedenfalls. – Ja. allerdings. – Nicht wahr
also, auch wir müssen schwimmen und versuchen, uns aus der
Begründung zu retten, indem wir hoffen, daß uns entweder irgend ein
Delphin auf seinen Rücken nehmeOffenbar Anspielung auf die Sage von
Arion, welche auch Herodot (I. 23) erzählt., oder eine andere
wundersame Rettung eintrete? – Ja, so scheint es, sagte er. – Wohlan
denn, sprach ich; vielleicht finden wir den Ausweg. Wir haben nemlich
wohl zugestanden, daß verschiedene Naturen auch Verschiedenes
betreiben müssen, und daß die Natur des Weibes und jene des Mannes
verschiedene seien; von diesen verschiedenen Naturen aber behaupten
wir jetzt, daß sie das Nemliche betreiben sollen. Dieß ist es, worüber ihr
uns anklagt. – Ja wohl, gar sehr. – Gar wacker, o Glaukon, sprach ich, ist
ja wahrlich die Kraft jener Kunst, welche sich aus Rede und Gegenrede
versteht. – Wie so? – Weil es mir scheint, sagte ich, daß Viele in dieselbe
auch wider ihren Willen verfallen und dabei nicht etwa bloß einen
Wortstreit, sondern ein begründendes Gespräch zu führen glauben, weil
sie nicht fähig sind, dasjenige, was gesagt wird, in Arten einzuteilen und
so die Erwägung anzustellen, sondern an dem Wortlaute des Gesagten
selbst den Gegensatz verfolgen und so eines Streites, nicht aber eines
Gespräches, gegenseitig sich bedienen. – Es ist allerdings, sagte er, bei
Vielen dieß eine gewöhnliche Erscheinung; zielt aber dieß etwa auch auf
uns im jetzigen Augenblicke ab? – Ja, durchaus wohl, erwiederte ich; es
kömmt wenigstens darauf hinaus, daß wir wider unseren Willen an Rede
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