Page 178 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
P. 178

und Gegenrede hängen bleiben. – Wie so? – Den Satz, daß Naturen,
                welche nicht die nemlichen sind, auch nicht die nemlichen
                Beschäftigungen erhalten dürfen, verfolgten wir gar tapfer und

                streitsüchtig dem Wortlaute nach, erwogen aber dabei nicht im
                Geringsten, was denn der Begriff einer verschiedenen und einer nicht
                verschiedenen Natur sei, und auf was hin abzielend wir damals diesen
                Begriff aufstellten, als wir den verschiedenen Naturen verschiedene
                Beschäftigungen und den nemlichen die nemlichen zutheilten. –
                Allerdings, sagte er, erwogen wir dieß nicht. – Demnach, sprach ich,
                dürfen wir wohl, wie es scheint, uns selbst fragen, ob die Natur der

                Kahlköpfigen und der Langhaarigen die nemliche und nicht eine
                entgegengesetzte sei, und falls wir etwa zugestanden hätten, daß sie eine
                entgegengesetzte sei, dürfen wir, wenn Kahlköpfige mit
                Lederbearbeitung sich beschäftigen, von den Langhaarigen dieß nicht
                dulden, und wenn Langhaarige, es von den Andern nicht dulden? –
                Lächerlich aber wäre ja dieß, sagte er. – Etwa aus einem anderen Grunde

                lächerlich, sagte ich, als darum, weil wir ja damals nicht schlechthin in
                jeder Beziehung von einer nemlichen und von einer verschiedenen Natur
                sprachen, sondern nur jenen Begriff des Andersseins und des
                Aehnlichseins bewahrten, welcher eben gerade auf die Beschäftigungen
                abzielt? wie z. B. vom Arzte und von dem in seiner Seele zur
                Arzneikunde Befähigten sagten wir allerdings, daß sie die nemliche
                Natur haben; oder glaubst du nicht? – Ja, gewiß. – Der zur Arzneikunde

                Befähigte aber und der zur Baukunde Befähigte eine verschiedene? – Ja,
                durchaus wohl. –
                     5. Nicht wahr also, sagte ich, auch bei dem Geschlechte der Männer
                und der Frauen werden wir, wenn sie bezüglich irgend einer Kunst oder
                einer anderen Beschäftigung sich als verschieden zeigen, demnach
                behaupten, daß man eben diese je einem der beiden zutheilen solle; wenn

                sie sich aber bloß dadurch von einander verschieden zeigen, daß das
                Weibliche gebiert und das Männliche es befruchtet, so werden wir
                behaupten, daß darum noch um nichts mehr bewiesen sei, daß bezüglich
                dessen, wovon wir hier sprechen, das Weib vom Manne verschieden sei,
                und wir werden noch immer der Meinung sein, daß unsere Wächter und
                ihre Frauen das Nemliche betreiben sollen. – Ja, und mit Recht, sagte er.
                – Nicht wahr also, nach diesem werden wir jenem, welcher das

                Gegentheil sagt, auferlegen, uns eben darüber zu belehren, bezüglich
                welcher Kunst oder welcher Beschäftigung unter jenen, welche die
                Einrichtung eines Staates betreffen, die Natur des Weibes und jene des
                Mannes nicht die nemliche, sondern eine verschiedene sei. – Wenigstens





                                                          177
   173   174   175   176   177   178   179   180   181   182   183