Page 187 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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die Nachkommen dieser seine Enkel, und diese hinwiederum einen
                Solchen ihren Großvater oder eine Solche ihre Großmutter nennen; alle
                jene Kinder aber, welche um jenen Termin nach jener Zeit zur Welt

                kommen, in welcher ihre Mütter und Väter sich paarten, werden sich
                Brüder und Schwestern nennen, so daß sie, wie wir so eben sagten, sich
                gegenseitig nicht geschlechtlich berühren; wohl aber wird den Brüdern
                und Schwestern das Gesetz den Beischlaf gestatten, wenn das Loos es so
                fügt und der Ausspruch der Pythia es bestätigt. – Völlig richtig, sagte er.
                –
                     10. Die Gemeinschaftlichkeit demnach der Weiber und der Kinder, o

                Glaukon, wäre dir für die Wächter des Staates hiemit diese und eine
                derartige; daß sie aber sowohl im Zusammenhange mit der übrigen
                Staatsverfassung, als auch bei Weitem das beste sei, müssen wir uns nun
                hernach durch unsere Begründung bekräftigen lassen; oder wie wollen
                wir es anders machen? – Eben so, bei Gott, sagte er. – Wäre also nun
                nicht etwa Folgendes der Ausgangspunkt unserer Verständigung, daß wir

                zunächst uns selbst fragen, was wir wohl als jenes größte Gut bezüglich
                der Einrichtung eines Staates bezeichnen können, wornach der
                Gesetzgeber hinzielen und sodann die Gesetze aufstellen muß, und was
                wohl das größte Uebel sei, und daß wir hierauf erwägen, ob, was wir so
                eben durchgingen, uns in die Spur des Guten passe, in jene des Uebels
                aber nicht passe? – Ja, am allermeisten so, sagte er. – Können wir also
                irgend ein größeres Uebel für einen Staat nennen, als dasjenige, was ihn

                zerreißt und aus einem Einen zu einem vielheitlichen macht, oder ein
                größeres Gut, als dasjenige, was ihn zusammenbindet und zu einem
                Einen macht? – Nein, wir können nicht. – Nicht wahr also, die
                Gemeinschaftlichkeit von Vergnügen und Schmerz wirkt
                zusammenbindend, wann nemlich in möglichst hohem Grade sämmtliche
                Bürger beim Eintritte und beim Verschwinden der nemlichen Dinge in

                der nemlichen Weise Freude und Schmerz empfinden? – Ja wohl, völlig
                soDieß ist der verfehlte oberste Grundsatz, aus welchem dem Plato die
                ganze Lehre bezüglich der Ehe-und Gütergemeinschaft fließt; verfehlt ist
                er darum, weil nach menschlichem Wesen eine Gemeinschaftlichkeit des
                Wünschenswerthen überhaupt nicht bloß kein Zusammenhalten und
                keinen Frieden zur Folge hat, sondern gerade am meisten den
                partikularen und selbstsüchtigen Eigennutz rege macht, daher bei der

                Verwirklichung der Ehe-und GüterGemeinschaft sofort im ersten
                Augenblicke der Wunsch nach Einzel-Besitz am allerlebhaftesten
                hervortreten würde.. – Die Vereinzelung aber in dieser Beziehung wirkt
                auflösend, wenn nemlich bei Ein und denselben Vorkommnissen des





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