Page 188 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
P. 188

Staates und der Staatsbürger die Einen voll Schmerz und die Anderen
                voll Freude sind. – Wie sollte es auch nicht so sein? – Entsteht also ein
                derartiger Zustand etwa nicht daraus, wenn im Staate die Worte »Mein«

                und »Nicht mein« nicht wie aus Einem Munde ertönen, und ebenso auch
                betreffs des Wortes »Freund«. – Ja wohl, gar sehr. – Ein Staat demnach,
                in welchem bei den nemlichen Dingen die Meisten in der nemlichen
                Weise die Worte »Mein« und »Nicht mein« aussprechen, wird wohl am
                trefflichsten verwaltet? – Ja, bei Weitem. – Und demnach auch jener
                Staat, welcher einem Einzeln-Menschen am nächsten kömmt, gerade
                wie, wenn Einem unter uns der Finger verwundet wurde, dann jene

                gesammte im Körper zur Seele hin ausgespannte Gemeinschaft bis zur
                einheitlichen Anordnung des Herrschenden hinauf es empfindet und als
                ganze sämmtlich den Schmerz zugleich mitfühlt, sobald irgend ein Theil
                leidend ist, so daß wir dann in diesem Sinne auch sagen »der Mensch
                fühlt Schmerz am Finger«; und auch betreffs eines jedweden anderen
                Theiles des Menschen gilt das Nemliche, mag ein Theil schmerzhaft

                leidend sein, oder vergnüglich Erleichterung fühlen. – Ja wohl, das
                Nemliche, sagte er; und auch, um was du fragst, ist so; nemlich Solchem
                zunächst steht wirklich ein Staat, welcher am trefflichsten verwaltet
                wird. – Wenn also, glaube ich, Einem der Bürger irgend Etwas, sei es ein
                Gut oder ein Uebel, widerfährt, so wird der derartige Staat am meisten
                sagen, daß jener, dem es widerfahren, ihm angehöre, und er wird als
                gesammter mit ihm sich freuen oder mit ihm trauern. – Ja, nothwendig

                ist es, sagte er, daß wenigstens der wohlgesetzliche Staat es so mache. –
                     11. Zeit also möchte es nun wohl sein, sprach ich, wieder zu unserem
                Staate zurückzukehren und diese Zugeständnisse der Begründung in ihm
                selbst zu erwägen, ob er sie im höchsten oder irgend ein Anderer in
                höherem Grade besitze. – Allerdings müssen wir dieß, sagte er. – Wie
                nun also? es gibt doch gewiß sowohl in den anderen Staaten, als auch in

                dem unsrigen Herrschende und Volk? – Ja. – Als Bürger werden sich
                demnach diese sämmtlich gegenseitig einander bezeichnen? – Warum
                auch nicht? – Wie aber nennt außer dieser gemeinschaftlichen
                Bezeichnung als Bürger in den anderen Staaten das Volk die
                Herrschenden? – In den meisten nennt es sie Gebieter, in den
                demokratischen aber eben mit diesem Namen, nemlich Herrschende. –
                Was aber wird in unserem Staate das Volk thun? wie wird es außer der

                Bezeichnung als Bürger da die Herrschenden nennen? – Retter und
                Helfer, sagte er. – Wie aber werden diese das Volk nennen? – Lohngeber
                und Ernährer. – Wie aber nennen in den übrigen Staaten die
                Herrschenden das Volk? – Sklaven. – Wie aber nennen sich dort die





                                                          187
   183   184   185   186   187   188   189   190   191   192   193