Page 190 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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die Wächter die eigentliche Ursache? – Ja, bei Weitem im höchsten
                Grade, sagte er. –
                     12. Nun aber haben wir ja zugestanden, daß dieß das größte Gut für

                einen Staat sei, indem wir einen wohl eingerichteten Staat damit
                verglichen, wie sich ein Körper zu einem seiner Theile bezüglich des
                Schmerzes oder des Vergnügens verhält. – Ja, und mit Recht haben wir
                dieß zugestanden, sagte er. – Also als Ursache des größten Gutes für
                einen Staat hat sich uns die für die Helfer bestehende
                Gemeinschaftlichkeit der Weiber und Kinder gezeigt. – Ja wohl, gar sehr,
                sagte er. – Und nun stimmen wir ja auch mit Obigem überein; wir sagten

                nemlich schon einmal B. III, Cap. 22., daß sie einzeln für sich weder
                Wohnungen, noch Ländereien, noch irgend einen Besitz haben, sondern
                ihre Nahrung, welche sie von den Uebrigen als Lohn für die Bewachung
                empfangen, Alle gemeinschaftlich verzehren müssen, woferne sie
                wirklich Wächter sein sollen. – Ja, dieß ist richtig, sagte er. – Macht sie
                also nun nicht, wie ich eben sage, sowohl jenes früher Erwähnte, als

                auch das so eben Angegebene noch in höherem Grade zu wahren
                Wächtern, und hat dieß zusammen nicht die Wirkung, daß sie den Staat
                nicht dadurch zerreißen, indem sie das Wort »Mein« nicht bei dem
                Nemlichen, sondern jeder bei einem Verschiedenen gebrauchen, und der
                Eine in sein Einzeln-Haus zusammenraffen würde, was er getrennt von
                den Uebrigen besitzen zu können vermeint, und ein Anderer wieder
                ebenso in das seinige als ein verschiedenes Haus, und in gleicher Weise

                auch ihre Frauen und Kinder als verschiedene, wobei sie jedoch für sich
                einzelne Vergnügungen und Schmerzen über je Einzelnes hervorrufen
                würden, sondern im Gegentheil, daß sie in Einer Ansicht betreffs des
                ihnen Angehörigen Alle zu dem Nemlichen hinstreben und so nach
                Kräften im gleichen Zustande bezüglich des Schmerzes und der Trauer
                sich befinden? – Ja wohl, gar sehr, sagte er. – Wie aber? Prozesse und

                gegenseitige Anklagen werden bei ihnen wohl so zu sagen gar nicht
                vorkommen, da sie ja Nichts ihnen einzeln Eigenes außer ihrem Körper
                besitzen, alles übrige aber gemeinsam ist? daher denn nun es ihnen
                zukömmt, daß sie ohne Zwiespalt leben, so weit wenigstens wegen des
                Besitzes des Geldes oder der Kinder und Verwandten die Menschen in
                Zwiespalt kommen. – Ja, durchaus nothwendig ist es, sagte er, daß sie
                hievon frei sind. – Und nun möchten wohl auch mit Recht keine

                Prozesse wegen Gewaltthätigkeit oder Beschimpfung bei ihnen sich
                finden; denn wir werden es ja doch wohl als etwas Schönes und
                Gerechtes bezeichnen, daß der Altersgenosse dem Altersgenossen
                beistehe, zumal da ja wir die Pflege körperlicher Uebung mit





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