Page 191 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Nothwendigkeit gebieten. – Ja, dieß ist richtig, sagte er. – Es hat
                nemlich, sprach ich, dieses Gesetz auch folgendes Richtige in sich: falls
                nemlich auch Jemand auf einen Anderen erzürnt ist, so wird er, wenn er

                innerhalb der derartigen Gränze seinem Zorne Genüge thut, wohl weit
                weniger zu größerer Entzweiung fortschreiten. – Ja, allerdings. – Einem
                Aelteren wenigstens wird es ja ohnedieß übertragen sein, über alle
                Jüngeren zu herrschen und sie zu bestrafen. – Dieß ist klar. – Und nun ja
                auch darum, weil ein Jüngerer einen Aelteren, woferne es nicht die
                Herrscher gebieten; wohl, wie zu erwarten ist, weder in anderer Weise
                gewaltthätig zu behandeln, noch auch ihn zu schlagen versuchen wird; er

                wird ihn aber, glaube ich, auch in keinerlei anderer Weise unehrenhaft
                behandeln; denn um dieß zu hindern, genügen jene zwei Wächter,
                nemlich die Scheu und die Furcht, und zwar die Scheu, welche ihn
                abhält, an seinen Erzeugern sich zu vergreifen, die Furcht aber, es
                möchten dem Beleidigten die Uebrigen, seien es Söhne oder Brüder oder
                Väter, zu Hülfe kommen. – Ja, so ergibt es sich, sagte er. – In allen

                Beziehungen demnach werden in Folge dieser Gesetze die Männer
                gegenseitig Frieden halten? – Ja, einen tiefen Frieden. – Und wenn nun
                diese innerhalb ihrer selbst keinen Zwiespalt erheben, ist wohl nicht zu
                fürchten, daß der übrige Theil des Staates gegen sie oder unter sich
                Feindschaft üben werde. – Nein, allerdings nicht. – Jene kleinlichsten
                Uebel aber, von welchen sie hiemit auch befreit sein dürften,
                aufzuzählen, nehme ich Anstand wegen ihrer Ungeziemendheit, nemlich

                Schmeicheleien gegen die Reichen seitens der Armen, und jene
                Verlegenheiten und Betrübnisse, welche ihnen bei der Ernährung ihrer
                Kinder und bei geschäftlichem Verkehre wegen der Nothwendigkeit,
                Sklaven zu halten, auferlegt sind, da sie Geld theils borgen, theils
                geborgtes ableugnen, theils auch, wenn sie sich auf jede Weise Geld
                verschafft, es dann bei ihren Weibern und Sklaven zur Verwaltung

                hinterlegen, und überhaupt, mein Freund, wie Vieles und Mancherlei sie
                in diesem Betreffe zu dulden haben, ist sowohl an sich klar, als auch sind
                dieß unedle Dinge und nicht des Redens werth. – Sie sind ja, sagte er,
                auch einem Blinden klar. –
                     13. Von all diesem demnach werden sie frei sein und ein Leben
                suchen, welches seliger ist, als das selig gepriesene Leben der Sieger in
                den olympischen Wettkämpfen. – Wie so? – Wegen eines kleinen Theiles

                ja nur von Demjenigen, was unseren Wächtern zukömmt, werden jene
                Sieger glücklich gepriesen; denn sowohl der Sieg der Unsrigen ist ein
                schönerer, als auch der auf Staatskosten ihnen zu Theil werdende
                Unterhalt ein vollkommenererD. h. auch die Sieger in den größeren





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