Page 189 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Herrschenden gegenseitig? – Mitherrscher. – Wie aber die unsrigen sich?
– Mitwächter. – Kannst du nun angeben, ob unter den Herrschenden in
den anderen Staaten irgend Einer den Einen von seinen Mitherrschern als
einen Verwandten und einen Anderen als einen Fremden bezeichnet? –
Ja, von Vielen kann ich dieß. – Nicht wahr also, den Verwandten wird er
als einen ihm Angehörigen ansehen und bezeichnen, den Fremden aber
als einen ihm nicht Angehörigen? – Ja, so ist es. – Was aber werden
deine Wächter thun? könnte irgend Einer unter ihnen einen von seinen
Mitwächtern als einen Fremden ansehen oder bezeichnen? – In keinerlei
Weise, sagte er; denn bei jedem Menschen, welchen er trifft, wird er
glauben, daß er in ihm einen Bruder oder eine Schwester oder einen
Vater oder eine Mutter oder einen Sohn oder eine Tochter oder
Abkömmlinge oder Vorfahren von Solchen treffe. – Vortrefflich, sagte
ich, sprichst du da; aber sage mir auch noch Folgendes: wirst du ihnen
bloß diese Namen der Verwandtest gesetzlich feststellen, oder auch, daß
sie alle Handlungen diesen Namen gemäß verüben, so gegen die Väter
Alles, was gegen dieselben gesetzlich ist, betreffs der Scheu und der
sorgsamen Pflege und der Pflicht des Gehorsams gegen die Eltern, da
außerdem es ihm weder seitens der Götter, noch seitens der Menschen
wohlergehen wird, da er ja, wenn er hiegegen handelt, weder nach
göttlichem, noch nach menschlichem Rechte handelt; – werden also
derartige Klänge oder etwa andere aus dem Munde aller Bürger sogleich
um die Ohren der Kinder ertönen, sowohl betreffs der Väter, welche man
ihnen nemlich als Väter bezeichnet, als auch betreffs der übrigen
Verwandten? – Gewiß diese Klänge, sagte er; denn es wäre ja lächerlich,
wenn sie ohne die Werkthätigkeit die bloßen Namen der Verwandtschaft
im Munde führen würden. – Unter allen Staaten also werden sie in dem
unsrigen am meisten im Einklange, wenn irgend Einer gut oder schlecht
steht, jenes eben von uns erwähnte Wort aussprechen, nemlich: »das
Meinige steht gut« oder »das Meinige steht schlecht«. – Ja, völlig wahr,
sagte er. – Nicht wahr also, im Gefolge dieser Ansicht und dieser
Ausdruckweise sagten wir ja, sei auch die Gemeinsamkeit der
Vergnügungen und der Schmerzen? – Ja, und mit Recht sagten wir so. –
Nicht wahr also, im höchsten Grade werden unsere Bürger an
demjenigen als Ein und demselben gemeinschaftlich Theil nehmen, was
sie mit dem Worte »Mein« bezeichnen? wenn sie aber an diesem
gemeinschaftlich Theil nehmen, so werden sie auf diese Weise demnach
auch im höchsten Grade eine Gemeinschaft des Vergnügens und des
Schmerzes haben? – Ja, bei Weitem. – Ist also nun hievon neben der
übrigen Einrichtung die Gemeinschaftlichkeit der Weiber und Kinder für
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