Page 202 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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genügender Weise wirklich die Weisheit lieben, und woferne nicht so
                beides, nemlich staatliche Macht und Weisheitsliebe, in Eines
                zusammenfallen, und woferne nicht jene große Menge von Begabungen,

                welche gegenwärtig von einander getrennt je bloß den Einen dieser
                beiden Wege wandeln, nothwendig ausgeschlossen wird, gibt es, mein
                lieber Glaukon, kein Aufhören der Uebel für die Staaten und, glaube ich,
                auch nicht für das Menschengeschlecht, und es wird auch wohl nicht
                eher diese Staatsverfassung, welche wir jetzt in unserer Begründung
                durchgingen, je zur Möglichkeit des Entstehens gelangen oder das Licht
                der Sonne erblicken; sondern eben dieß war, was mich schon längst

                veranlaßte, Anstand zu nehmen, es auszusprechen, weil ich sah, daß
                dabei gar Vieles Auffallende gesagt werden würde; denn schwierig ist es,
                einzusehen, daß keine andere Staatsverfassung irgend beglückend wirken
                könne, sei es im Einzeln-oder im öffentlichen Leben. – Und er
                erwiederte: Du hast, o Sokrates, ein derartiges Wort und einen solchen
                Ausspruch hiemit hereingeschleudert, daß du auf dieß hin erwarten

                darfst, es möchten gar viele und nicht zu verachtende Leute jetzt
                augenblicklich, indem sie gleichsam ihre Gewänder von sich werfen und
                nackt jede nächste beste Waffe ergreifen, auf dich in gespannter Hast
                losrennen, um dir erstaunlich Arges anzuthun; und wenn du diese nicht
                vermittelst deiner Begründung von dir abwehrst und ihnen nicht
                entgehst, so wirst du wirklich mit Hohn überschüttet werden und so es
                büßen. – Nicht wahr also, erwiederte ich, daran ist Niemand schuld als

                du? – Ja, sagte er, und ich that gut daran; aber darum werde ich dich auch
                nicht im Stiche lassen, sondern dir beistehen, womit ich nur kann; ich
                kann dieß aber durch hingebendes Wohlwollen und durch
                Aufmunterungen, und vielleicht ja könnte ich dir auch geschickter, als
                mancher andere, in Antworten Rede stehen; aber jedenfalls versuche es,
                da du einen derartigen beistehenden Genossen hast, den Ungläubigen zu

                beweisen, daß es sich so verhalte, wie du sagst. – Versuchen, sprach ich,
                muß ich es wohl, nachdem auch du eine so bedeutende
                Bundesgenossenschaft mir anbietest. Nothwendig also scheint es mir,
                woferne wir den von dir erwähnten Leuten entgehen sollen, daß wir
                gegen jene vorerst feststellen, welche Männer denn wir unter jenen
                Weisheitsliebenden verstehen, welche unserer kühnen Behauptung
                zufolge die Herrschenden sein sollen, um nemlich, wenn dieß klar

                geworden, dann die Abwehr durch den Nachweis bewerkstelligen zu
                können, daß den Einen von Natur aus es gebührt, sowohl der
                Weisheitsliebe zu pflegen, als auch die Führer im Staate zu sein, den
                Anderen hingegen, sowohl jene nicht zu pflegen, als auch den Führern





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