Page 205 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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betreffs des Gerechten und des Ungerechten und des Guten und des
Bösen gilt der nemliche Ausspruch, daß jedes einzelne derselben ein
Eines für sich sei, sie aber wohl vermöge ihrer Gemeinschaftlichkeit mit
den Handlungen und mit den Körpern und wechselseitig mit sich selbst
dann allerwärts erscheinen und so ein jedes sich als ein Vielheitliches
zeige. – Ja, du hast Recht, sagte er. – In dieser Beziehung demnach,
sprach ich, unterscheide ich, nemlich einerseits jene von dir so eben
erwähnten Schaulustigen und Kunstliebenden und in den äußeren
Handlungen sich Bewegenden, andererseits aber hinwiederum jene, von
welchen hier die Rede ist, nemlich welche man allein mit Recht als
Weisheitsliebende bezeichnen könnte. – Wie meinst du dieß? sagte er. –
Jene Hörlustigen und Schaulustigen, sprach ich, lieben doch wohl die
schönen Töne und Farben und Gestalten und Alles, was aus dergleichen
angefertigt wird, hingegen die Natur des Schönen an und für sich zu
sehen und zu lieben, ist ihre Denkthätigkeit unfähig. – Ja, es verhält sich
allerdings so, sagte er. – Möchten aber eben jene, welche fähig sind, an
das Schöne an und für sich hinzutreten und es in seinem eignen Sein zu
schauen, wohl selten zu finden sein? – Ja wohl, gar sehr. – Scheint dir
aber nur derjenige, welcher zwar an schöne Dinge glaubt, aber an die
Schönheit an und für sich weder glaubt, noch auch, falls ihn Jemand zur
Einsicht in dieselbe führen würde, ihm zu folgen fähig ist, ein wachendes
oder ein träumendes Leben zu führen? Erwäge aber Folgendes: besteht
etwa das Traumwachen nicht darin, daß man, sei es im Schlafe, oder sei
es wachend, ein Ding, welches einem anderen ähnlich ist, nicht für
ähnlich, sondern eben für das Nemliche wie jenes halt, welchem es
gleicht? – Ja, ich wenigstens, sagte er, würde von einem Solchen
behaupten, daß er in einem Traumwachen seiPlato spricht von drei
brandenden Wogen, welchen er zu entgehen habe, indem er hierunter
auch den Sturm von Einwänden und Gegenreden versteht, welchen er
wegen dreier auffallenden Behauptungen zu erwarten und zu bekämpfen
hat; nemlich die erste dieser so heftig angefeindeten Behauptungen
betraf die Gleichstellung der Männer und der Frauen bezüglich der
gymnischen und musischen Bildung (oben Cap. 3–6; vgl. die ersten
Worte des 7. Cap.), die zweite Behauptung betraf die Ehe-und Kinder-
Gemeinschaft für die Wächter (Cap. 7–16); die dritte aber steht nunmehr
zur Erörterung bevor; sie scheint von allen die auffälligste und lautet
»die Philosophen sollen die Herrscher des Staates sein«, und die
ausführliche Darlegung dieses Grundsatzes bildet den Inhalt von allem
Folgenden bis zum Schlusse des VII. Buches.. – Wie aber? wer im
Gegensatze hievon sowohl irgend Etwas für das Schöne an und für sich
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