Page 209 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Mittleren das Mittlere zutheilend; oder etwa nicht in dieser Weise? – Ja,
                in dieser. – Nachdem also dieses uns so zu Grunde liegt, möge mir jener
                Wackere Antwort geben, welcher ein Schönes an und für sich und eine

                immerwährend sich gleich bleibende Idee der Schönheit nicht annimmt,
                hingegen als eben jener Schaulustige an viele schöne Dinge glaubt und
                es niemals ertragen kann, wenn Jemand behauptet, ein Eines sei das
                Schöne und das Gerechte und das übrige Derartige. Gibt es also etwa, o
                Bester, werden wir zu ihm sagen, unter jenen vielen schönen Dingen
                irgend ein Einziges, welches nicht auch als schimpflich sich zeigen
                könnte, und unter den gerechten Dingen ein Einziges, welches nicht auch

                als ungerecht; und unter den heiligen Dingen ein Einziges, welches nicht
                auch als unheilig? – Nein, sagte er, sondern nothwendig müssen sie alle
                gewissermaßen sowohl als schöne, als auch als schimpfliche sich zeigen,
                und so auch bei dem Uebrigen, um was du fragst. – Wie aber? zeigen
                sich nicht auch die vielen doppelten Dinge ebensosehr zugleich als halb?
                D. h. wie alle übrigen Ideen, so erfährt auch die Idee der Doppelheit (das

                διπλάσιον) innerhalb der Vielheit der erscheinenden Dinge gleichsam
                eine Verunstaltung oder Verunreinigung, insoferne sie dortselbst mit
                ihrem eigenen Gegensatze verflochten sein kann; denn sowie bei den
                empirisch erscheinenden Dingen z. B. die Schönheit nur eine relative
                sein kann, da nach einer anderen Seite betrachtet das nemliche Ding auch
                als häßlich gelten kann, so ist in der empirischen Erscheinung auch das
                Doppelten immer mit seiner Kehrseite verbunden, weil, wo von einem

                Doppelten die Rede ist, immer bei anderseitiger Betrachtung auch von
                einem Halben gesprochen werden muß. Schlechthin verkehrt ist hiebei
                nur, daß Plato dieses Wechsel-Verhältniß bloß der empirischen
                Erscheinung der Vielheit als einen Zustand des Uebels zuweist, denn
                gewiß kann ja auch in der Region der Begriffe der Mensch nie Einen
                Gegensatz ohne den entsprechenden andern denken, oder, mit anderen

                Worten, Plato verwechselt hier die Relativität mit der Gegensätzlichkeit,
                was freilich Sache einer gar eigenthümlichen Logik ist. – Ja, ebensosehr.
                – Also auch die großen Dinge und die kleinen und die leichten und die
                schweren werden nicht mit größerem Rechte so genannt, als man sie
                auch mit dem gegentheiligen Ausdrucke bezeichnen kann? – Nein, nicht
                mit größerem, sagte er, sondern immer wird jedes nach beiden Seiten hin
                sich anklammern. – Gilt also nun bei jedem einzelnen unter den vielen

                Dingen das Sein dessen, was wir es nennen, mehr als das Nichtsein
                desselben?Diese Schlußfolgerung aber überschreitet nun wahrlich
                vollends alles Maß des Erträglichen; denn wenn wir auch von dem in der
                vorigen Anm. so eben erhobenen Bedenken völlig absehen und dem





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