Page 204 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Grade. – Dieß also sage, ob es so sei oder nicht: werden wir von jenen,
                welche wir als irgend Begehrliche bezeichnen, behaupten, daß sie immer
                die ganze Gattung begehren, oder bloß das Eine, ein Anderes aber nicht?

                – Die ganze Gattung, sagte er. – Nicht wahr also, auch von dem
                Weisheitsliebenden werden wir sagen, daß er nicht bloß die eine
                Weisheit begehre, eine andere aber nicht, sondern eben die ganze? – Ja,
                dieß ist wahr. – Von demjenigen also, welcher mit Widerwillen an die
                Lerngegenstände geht, werden wir, zumal wenn er jung ist und noch
                keinen Begriff davon hat, was brauchbar sei und was nicht, gewiß nicht
                sagen, daß er lernbegierig oder weisheitsliebend sei, sowie wir auch von

                jenem, welcher einen Widerwillen gegen Speisen hat, nicht sagen, daß er
                hungere, oder daß er Speisen begehre, oder daß er eßlustig sei, sondern
                eben daß er appetitlos sei. – Ja, und mit Recht werden wir dieß sagen. –
                Hingegen von demjenigen, welcher gleich bereit ist, von jedem
                Lerngegenstande kosten zu wollen, und willig an das Lernen geht und
                hierin unersättlich ist, werden wir mit Recht sagen, daß er

                weisheitsliebend sei; oder wie denn anders? – Und Glaukon sprach: Da
                werden dir also auch gar viele ungereimte Menschen zu den Derartigen
                gehören, nemlich sowohl alle Schaulustigen scheinen mir darum, weil
                sie eine Freude daran haben, wenn sie Etwas kennen lernen, derartig zu
                sein, als auch die Hörlustigen scheinen mir doch gar zu ungereimte
                Menschen zu sein, als daß man sie unter die Weisheitsliebenden rechnen
                könnte, Leute, welche bei begründenden Reden und einer derartigen

                Unterhaltung gewiß nie freiwillig sich einfinden würden, aber wohl,
                gerade als hätten sie ihre Ohren vermiethet, um allen Chorgesängen
                zuzuhören, bei den dionysischen Festen herumlaufen und weder bei den
                in der Stadt, noch bei jenen auf dem Lande abgehaltenen fehlen. Sollen
                wir nun all diese und auch andere, welche dergleichen Dinge oder
                sonstige Kunststückchen lernen wollen, als Weisheitsliebende

                bezeichnen? – Keineswegs, sagte ich; aber als solche, welche den
                Weisheitsliebenden ähnlich sind. –
                     20. Welche aber, sagte er, verstehst du unter den wahrhaft
                Derartigen? – Jene, sprach ich, welche schaulustig bezüglich der
                Wahrheit sind. – Auch dieß, sagte er, ist richtig; aber wie meinst du dieß?
                – Keineswegs, erwiederte ich, könnte ich dieß in leichter Weise einem
                Anderen angeben, von dir aber glaube ich, daß du mir Folgendes

                zugestehen werdest. – Was denn wohl? – Daß, nachdem das Schöne dem
                Schimpflichen entgegengesetzt ist, dieß eben zwei Dinge seien. – Ja,
                warum auch nicht? – Nicht wahr also, nachdem sie zwei sind, ist auch
                jedes von beiden ein Eines für sich? – Ja, auch dieß. – Und also auch





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