Page 203 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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bloß nachzufolgen. – Ja, es möchte Zeit sein, sagte er, dieß festzustellen.
                – So komm denn und folge mir in dieser Richtung, woferne wir es
                irgendwie genügend erklären können. – Wohlan also, sagte er. –

                     19. Werde ich also, sagte ich, dich erst daran erinnern müssen, oder
                erinnerst du dich selbst daran, daß von demjenigen, welchen wir als
                einen Etwas Liebenden bezeichnen, sich bei richtiger Anwendung dieser
                Bezeichnung zeigen müsse, daß er nicht bloß das Eine von jenem
                Gegenstande liebt und ein Anderes nicht, sondern daß er eben den
                ganzen mit Liebe erfasse? – Wohl erst daran erinnern, sagte er, mußst du
                mich, wie es scheint; denn ich verstehe es nicht völlig. – Für einen

                Anderen, o Glaukon, erwiederte ich, möchte sich wohl eher ziemen zu
                sprechen, wie du da sprichst; aber für einen dem Eros huldigenden Mann
                ziemt sich’s nicht, aus dem Gedächtnisse zu verlieren, daß alle jene,
                welche in der Blüthe der Jahre stehen, den Knabenliebhaber und den
                dem Eros Huldigenden in irgend einer Weise zupfen und zerren, indem
                sie es zu verhindern glauben, daß jener sich um sie bekümmere und

                ihnen Liebe erweise. Oder macht ihr es nicht auch so gegen die schönen
                Knaben? Der Eine wird, weil er stumpfnasig ist, von euch ein Graziöser
                genannt und darum gepriesen, an den Anderen bezeichne ihr die
                Habichtsnase als etwas Königliches, von jenem aber, der zwischen
                beiden in Mitte steht, sagt ihr, er habe gerade das rechte Maß, von den
                Dunkelfarbigen hinwiederum sagt ihr, ihr Anblick habe etwas
                Männliches, von den Hellfarbigen, sie seien Göttersöhne; was aber die

                Honigfarbigen oder eben diese Bezeichnung selbst betrifft, glaubst du,
                sie sei die Erfindung irgend eines Anderen, als eben eines Liebhabers,
                welcher einen schmeichelhaften Ausdruck wählte und das Gelbliche,
                wenn es in der Blüthezeit der Jahre eintritt, sehr gerne sich gefallen ließ;
                und mit Einem Worte alle Vorwände bringt ihr vor und alle
                Sprechweisen laßt ihr ertönen, um nur keinen von jenen, welche in der

                Blüthe der Jahre stehen, zurückzustoßen. – Wenn du dieß Alles, sagte er,
                von mir willst gelten lassen, daß die dem Eros Huldigenden es so
                machen, so gestehe ich es dir um des bloßen Redens willen zu. – Wie
                aber? siehst du von den Trunkliebenden nicht gleichfalls, daß sie das
                Nemliche thun, indem sie jedweden Wein unter jedem Vorwande lieben?
                – Ja wohl, gar sehr. – Und nun ja auch bei den Ehrliebenden erblickst du,
                wie ich glaube, daß, wenn sie es nicht zum Feldherrn bringen, sie

                wenigstens über eine kleine Heeresabtheilung herrschen wollen, und
                wenn sie nicht von Mehreren und Bedeutenderen geehrt werden, sie es
                schon zufrieden sind, von Wenigeren und Geringeren geehrt zu werden,
                da sie ja überhaupt Begierde nach Ehre haben. – Ja wohl, in hohem





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