Page 215 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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auch Folgendes wirst du nicht übersehen, wie ich glaube. – Was denn
wohl? – Ob sie gelehrig oder ungelehrig sei; oder erwartest du, daß
jemals irgend Jemand Etwas mit Liebe ergreifen werde, was er nur mit
Schmerzen und kaum mit einem geringen Erfolge ausüben würde? –
Dieß möchte nicht leicht der Fall sein können. – Wie aber? wenn er
Nichts von jenem, was er gelernt, zu behalten vermag, voll von
Vergeßlichkeit seiend, sollte er da anders als leer an Wissen sein können?
– Wie sollte er auch? – Indem er also nutzlos sich plagt, wird er da,
glaubst du, nicht zuletzt genöthigt werden, sich selbst und die derartige
Thätigkeit zu hassen? – Wie sollte er auch nicht? – Also eine vergeßliche
Seele werden wir wohl niemals unter die hinreichend weisheitsliebenden
rechnen, sondern wir wollen suchen, daß sie Gedächtnißgabe besitze. –
Ja, durchaus so. – Nun aber von einer Begabung ja, welche dem
Musischen feindlich und unanständig ist, wohin anders wollen wir sagen,
daß sie hindränge, als zur Maßlosigkeit? – Warum auch nicht? – Glaubst
du aber, Wahrheit sei mit Maßlosigkeit verwandt oder mit dem
Maßhalten? – Mit dem Maßhalten. – Also außer dem Bisherigen wollen
wir eine ihrer Begabung nach maßhaltende und wohlanständige
Gesinnung suchen, welche zur Idee eines jeden Seienden vermöge ihrer
inneren Natur leicht Eingeleitet werden kann. – Wie sollten wir auch
nicht? – Wie nun? Scheinen wir dir nicht hiemit so ziemlich alles
Einzelne, wie es auf einander folgt, durchgegangen zu haben, was
nemlich nothwendig ist für eine Seele, welche an dem Seienden in
genügender und vollendeter Weise Theil nehmen will? – Ja, gewiß das
Nothwendigste, sagte er. – Wirst du also in irgend einer Weise eine
derartige Thätigkeit tadeln, welche niemals Jemand genügend auszuüben
vermag, der nicht seiner Begabung nach merksam, gelehrig, großartig,
anständig, befreundet und verwandt mit der Wahrheit, der Gerechtigkeit,
der Tapferkeit, der Besonnenheit, ist? – Nein, nicht MomosMomos ist
der mythologisch personificirte Tadel; bei Hesiod heißt er ein Sohn der
Nacht. selbst, sagte er, könnte eine derartige Thätigkeit tadeln. – Würdest
du aber also, sprach ich, den Derartigen, wenn sie durch Bildung und
Alter ihre Vollendung erhalten haben, nicht ausschließlich den Staat
anvertrauen? –
3. Und nun sprach Adeimantos: Auf dieses hin, o Sokrates, möchte
allerdings Niemand im Stande sein, dir zu widersprechen; aber
Folgendes ja widerfährt denjenigen, welche jedesmal das einzelne von
dir Vorgebrachte hören: indem sie aus Unkunde des Fragens und
Antwortens durch deine Begründung bei jeder einzelnen Frage wieder
um ein Kleines abgelenkt werden, glauben sie, daß, indem sich diese
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