Page 219 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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die Meisten der zu ihr sich Wendenden ganz schlecht, und selbst noch
                die Tüchtigsten unter ihnen unbrauchbar seien, worin ich dir eben auch
                zugestand, daß du die Wahrheit sprechest; oder etwa nichts – Ja. –

                     5. Nicht wahr also, die Ursache der Unbrauchbarkeit der Tüchtigen
                haben wir hiemit durchgegangen? – Ja wohl, gar sehr. – Willst du aber,
                daß wir nun hernach bezüglich der Schlechtigkeit jener Meisten unter
                ihnen die Nothwendigkeit durchgehen und, wo möglich, zu zeigen
                versuchen, daß auch hieran nicht die Weisheitsliebe Schuld sei? – Ja,
                allerdings. – Wollen wir es denn nun hören und angeben, indem wir von
                jenem Punkte an es uns in’s Gedächtniß zurückrufen, von welchem aus

                wir durchgingen, wie beschaffen die Begabung des künftig Guten und
                Trefflichen nothwendig sein müsse. Den Reigen aber eröffnete dort für
                ihn, wenn du es noch im Gedächtnisse hast Oben Cap. 2., vor Allem die
                Wahrheit, welche er vollständig und in jeder Beziehung verfolgen mußte,
                oder außerdem als bloßer Prahler an der wahrhaften Weisheitsliebe
                keinerlei Antheil haben durfte. – Ja, so sagten wir. – Nicht wahr also,

                dieser Eine Punkt ist schon ein sehr auffallender im Vergleiche mit den
                jetzt hierüber bestehenden Ansichten? – Ja wohl, gar sehr, sagte er. –
                Werden wir also nicht etwa in passender Weise ihn dadurch vertheidigen,
                daß der wirklich Lernbegierige von Natur aus begabt sei, nach dem
                Seienden zu ringen, und nicht bei den vielen einzelnen Dingen, welche
                durch die Meinung erfaßt werden, verbleibe, sondern seinen Weg gehe
                und nicht abgestumpft werde und von seiner Liebe nicht nachlasse, ehe

                er die Natur eines jeden, was es an und für sich ist, ergriffen hat, und
                zwar vermittelst jenes Theiles seiner Seele, welchem es gebührt, daß er
                das Derartige ergreife; es gebührt aber dem mit jenem verwandten
                Theile; und vermittelst dessen also wird er sich dem wirklich Seienden
                nähern und mit ihm sich paaren, und nachdem er so Verstand und
                Wahrheit gezeugt hat, würde er Einsicht besitzen und in Wahrheit leben

                und sich nähren, und auf diese Weise seine Geburtswehen endenUeber
                diese Bedeutung des Eros, wornach er das Wissen der Ideen erzeugt und
                die geistigen Geburtswehen mit einem glücklichen Erfolge krönt, s.
                Näheres im »Gastmahl«, Cap. 26–29., eher aber nicht. – Ja wohl, sagte
                er, so passend als möglich werden wir ihn hiedurch vertheidigen. – Wie
                nun? wird diesem es irgend zukommen, eine Unwahrheit zu lieben, oder
                vielmehr im Gegentheile sie zu hassen? – Sie zu hassen, sagte er. – Wenn

                demnach die Wahrheit den Reigen eröffnet, würden wir, glaube ich, wohl
                niemals sagen, daß ihr ein Reigen von Schlimmem folge. – Wie sollten
                wir auch? – Hingegen ein gesunder und gerechter Sinn, welchem dann
                auch die Besonnenheit folge. – Ja, mit Recht, sagte er. – Und demnach





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